64 Das Beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 11.)
ihren wallenden Pleureusen hinzeichnet, wie man das Räuspern und Spucken
des Verbrechers schildert, gerade als hätte man irgendein Feuilleton der
niedrigsten Klasse. Das ist ein Unfug in der Presse, der abgestellt werden
muß, und gegen den sich erfreulicherweise die Standesorganisation der Presse
mit voller Entschiedenheit gewandt hat. Leider partizipieren an diesem
Unfug Blätter bürgerlicher Richtung, die wähnen, zu den führenden Welt-
blättern zu gehören. Nicht die Presse der Sozialdemokratie macht sich hier
besonders schuldig, auch nicht die Blätter der Rechten, des Zentrums und
der Liberalen — nein, das sind Blätter, die aus der Parteilosigkeit ein
Geschäft machen, deren einzige Richtlinie die Rücksicht auf die Abonnenten
und den Geschmack der Abonnenten ist. Da komme ich auf den springenden
Punkt, und nun drehe ich als Mann der Presse den Spieß um. Ich habe
mich früher immer gewundert, wie unsere Altvordern an den Räuber-
erzählungen von Schinderhannes, von Rinaldini, von Lips Tullian so
großen Geschmack finden konnten. O, meine Herren, die Kreise von so-
genannter Bildung und meist von Besitz finden denselben Geschmack an den
modernen Lips Tullians, an den modernen Sternickels; sie wollen durch
diese Dinge geklitzelt sein, auch durch die Gerichtsverhandlungen, und sie
spüren danach, wo in den sonst langweiligen Prozeßberichten hier und da
ein Körnchen von Schlüpfrigkeit zu entdecken sei. Der Presse wird zu-
gemutet, sie solle auf diesen Geschmack Rücksicht nehmen. Das dürfen wir
nicht tun. Wir müssen die Leserschaft zu einem geläuterten Geschmack er-
ziehen, und da muß die Oeffentlichkeit, das Gericht und die Presse Hand
in Hand mitarbeiten. An den Pranger gehören die Leute, die solchem
perversen, verderbten Geschmack der Menge irgendwie Rechnung tragen.
Mit dem Herrn Redner vom Zentrum begrüße ich mit Freuden,
daß uns in den Entschließungen des Bundesrats ein Gesetzentwurf verkündet
worden ist, der den Kampf gegen den Schmutz und den Schund im
Schrifttum und in der Kunst aufnehmen soll. Aber ich gebe zu: es ist in
den letzten Jahren besser geworden, auch in der Presse. Es gibt kaum ein
deutsches Blatt, das jetzt noch von diesem Kampf sich ausschließen möchte.
Es ist besser geworden auch durch die Organisationen, die gegründet worden
sind, und ich glaube eine Dankespflicht zu erfüllen, wenn ich dem Manne,
dem vielfach verkannten, der jetzt nicht mehr dem Reichstag angehört, dem
Herrn Geheimen Justizrat Roeren, bezeuge, daß seine unermüdliche Arbeit
es gewesen ist, die diese Organisationen in die Wege geleitet hat und
hoffentlich zum Siege führen wird. Es ist besser geworden auch bezüglich
der Polizei. Gott sei Dank greift die Polizei jetzt etwas scharf zu, nicht
mit Glacéhandschuhen. Sie nimmt, um diesen Unrat wegzufegen, nicht
den Rutenbesen, sondern die eiserne Harke. Besser geworden ist es auch
bei den Gerichten, die eine Zeitlang recht milde urteilten, weil sie sich
etwas — so nehme ich an — zu vergeben glaubten, wenn sie sich in der
Bekämpfung dieses Schmutzes „reaktionär“ gebärdeten. Weil dem aber so
ist, deswegen möchte ich bei dem Gedanken stehen bleiben: die bestehenden
Gesetze genügen noch nicht. Sie genügen ja, um die gemeinsten Zoten und
Eindeutigkeiten von der Jugend fernzuhalten. Aber es gibt jetzt eine Art
von Literatur, die Ihnen hoffentlich nicht bekannt ist, die mir aber von
Berufs wegen bekannt geworden ist: die bietet allerhand Schlüpfrigkeiten,
allerhand auf die Sinnlichkeit berechnete Darstellungen, versteht es aber,
sich mit einem Mäntelchen zu umhüllen, mit einem Mäntelchen der Wissen-
schaftlichkeit im allgemeinen, der Medizin, der Volkskunde, der sogenannten
Gesellschaftskunde im besonderen; und das Mäntelchen wird so fein gefaltet
und drapiert, daß sich der einzelne dadurch wahrhaftig täuschen läßt. Sieht
man schärfer hin, dann hat man dahinter den Schmutz, den Schund; nur