Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

770 NMebersicht über die politische Eutwichlung des Jahres 1913. 
russische Regierung in die Hand. Am 17. Juni wurden die Mi- 
nisterpräsidenten von Rumänien, Serbien, Montenegro, Bulgarien 
und Griechenland nach Petersburg entboten, um ihre Streitigkeiten 
durch einen Schiedsspruch des Zaren entscheiden zu lassen. Aber 
Bulgarien, das sich bewußt war, in dem gemeinsamen Kriege die 
größten Opfer gebracht zu haben, wollte sich Mazedonien nicht wieder 
entreißen lassen und bestand auf der genauen Einhaltung der vor 
Beginn des Krieges mit Serbien vereinbarten Grenzbestimmung. 
Es fühlte sich auch durch die griechischen Ansprüche auf Entschädi- 
gung auf mazedonischem Gebiet für den in Albanien erwarteten 
Gewinn beeinträchtigt und legte das Petersburger Protokoll 
über seinen Streit mit Rumänien anders aus als die rumänische 
Regierung. Man wurde gewahr, daß der Wind in Petersburg nach 
einer für Bulgarien nicht günstigen Richtung wehte und entschloß 
sich, lieber noch einmal an die Entscheidung der Waffen zu apel- 
lieren und besonders Serbien und Montenegro zu zwingen, sich trotz 
der durch die Großmächte veränderten Situation an die dem Kriegs- 
ausbruch vorangegangenen Abmachungen zu halten. Am 6. Juli 
rief es seine Gesandten in Belgrad und Cetinje ab. Aber Rumänien 
und Griechenland eröffneten gleichzeitig die Feindseligkeiten, so daß 
sich das von dem ersten Balkankriege noch erschöpfte Bulgarien so- 
fort in einen Krieg mit einer Koalition von vier Mächten verstrickt 
sah. Um sich den gefährlichsten Feind vom Halse zu halten, ver- 
zichtete es von vornherein auf jeden Widerstand gegen Rumänien. 
Dafür erstand ihm aber ein neuer Feind in der Türkei, deren 
Truppen in der Nacht vom 12. zum 13. Juli den Vormarsch auf 
Adrianopel antraten, das wegen der dringenden Gefahr auf dem 
bulgarisch-griechischen und den beiden bulgarisch-serbischen Kriegs- 
schauplätzen seiner Besatzung beraubt worden war. So verlor Bul- 
garien, dem kein taktischer Erfolg beschieden war, innerhalb drei 
Wochen nicht nur einen Teil seiner auf Kosten der Türkei in Ge- 
meinschaft mit drei Bundesgenossen gemachten Eroberungen, son- 
dern auch einen größeren Teil seines alten Besitzes in der Do- 
brudscha und an der Donau, als es nach dem Petersburger Proto- 
koll den Rumänen hätte überlassen müssen. Diesmal vermieden 
aber die kriegführenden Staaten jede Anrufung der Großmächte.
	        
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