772 Mebersicht über die politische Eutwichlung des Jahres 1913.
einen schmalen „Korridor“ bis zur Küste des Adriatischen Meeres
an. Da sich aber Osterreich-Ungarn diesem Begehr aufs entschiedenste
widersetzte, so mußten die Serben und Montenegriner ihre Pläne
schnell wieder aufgeben. Bei der südlichen Begrenzung Albaniens
waren die griechischen Gelüste auf Vergrößerung von Epirus zurück-
zudrängen. Hier stand Italien mit Osterreich-Ungarn treu zu-
sammen. Durch das Interesse der Dreibundstaaten, dem von ihnen
geschaffenen unabhängigen Albanien ein auskömmliches Areal zu
sichern, wurde die Sympathie Griechenlands zur Tripleentente hinüber--
gezogen.
Die Schwierigkeit, alle diese Grenzverschiebungen auf der Balkan-
halbinsel ohne die Entfachung eines europäischen Krieges zu ordnen,
schien Deutschland und England einander mehr zu nähern, als
es seit der Marokkokrisis von 1911 erwartet werden konnte. Für
Sir Edward Grey war es ein Ehrenpunkt, das von ihm geleitete
Friedenswerk in London nicht völlig scheitern zu sehen. Dazu be-
durfte es der überwindung des Interessengegensatzes zwischen Öster-
reich und Rußland in balkanischen Angelegenheiten. Von englischer
Seite ist eingestanden worden, daß Deutschlands Bemühungen am
meisten dazu beigetragen haben, die immer wieder hervorbrechenden
Konflikte einzudämmen und der Türkei, auf deren Kosten die Grenz-
verschiebungen vorgenommen wurden, das Gefühl zu erhalten, daß
im Rate der Großmächte der Bestand eines lebensfähigen osmanischen
Reiches trotz der erzwungenen Abtretung von Adrianopel als ein
europäisches Bedürfnis anerkannt wurde. Der neue Staatssekretär
des Auswärtigen von Jagow konnte daher bei der Beratung des
Marineetats in der Budgetkommission des Reichstags am 7. Februar
darauf hinweisen, daß die deutsche Politik mit der englischen nicht
nur durch „Berührungspunkte sentimentaler Art“, sondern auch
„auf dem Boden gemeinsamer Interessen“ erfolgreich zusammen-
gearbeitet habe, und in den englischen Preßstimmen, die das Ka-
lendarium zum 8. Februar verzeichnet, ist von einer Entspannung
zwischen Deutschland und England die Rede (S. 59 und 494 f.).
Der englische Premierminister sprach im Unterhause am 10. März
davon, daß die englische Regierung in der Balkanangelegenheit „in
einmütigem Wunsche mit Deutschland zusammengearbeitet hat“