Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Nebersicht über die politische Eutwichlung des Jahres 1913. 795 
System Philipp II. ist es kennzeichnend, daß am 20. Oktober durch 
königliches Dekret ein in Berlin gebildeter Orientalist mit der 
Abhaltung von Vorträgen und Übungen über „Hebraica“ be- 
austragt wurde. Auch der Verwaltung des jetzt endgültig für 
Spanien gesicherten Teiles von Marokko wandte man die größte 
Sorgfalt zu. Dagegen ließ man sich durch den Versuch des Prä- 
sidenten der französischen Republik, gelegentlich seines Besuches 
Spanien an die Entente cordiale anzugliedern und einen Vier- 
verband daraus zu machen, nicht ködern (S. 560 f.). Das dringendste 
Bedürfnis zur Förderung der spanischen Interessen im Mittel- 
meer, nämlich der Bau einer genügenden Flotte, wurde zwar er- 
kannt und von der öffentlichen Meinung günstig ausgenommen 
(S. 489 f.); aber im Jahre 1913 nahm die Regierung diese große 
Aufgabe noch nicht in die Hand. 
Während der ersten Hälfte des Jahres erlangte der europäische 
Einfluß Großbritanniens eine offensichtliche Steigerung, da in 
London sowohl die Friedenskonferenz der Balkanstaaten als auch 
die Botschafterreunion der Großmächte tagte und das englische 
Auswärtige Amt die Vermittelung zwischen beiden sowie die Leitung 
der Verhandlungen in dem neugeschaffenen europäischen Areopag 
übernehmen mußte. Sir Edward Grey erwarb sich dadurch ein 
überragendes Ansehen unter den zeitgenössischen Diplomaten. Wir 
haben schon gesehen, daß beide Londoner Konferenzen den Aus- 
bruch eines neuen Balkankrieges nicht verhindern konnten und der 
Staatsmann, der im Falle eines Erfolges, wie ihn die Pariser 
Friedenskonferenz von 1856 oder der Berliner Kongreß von 1878 
gehabt hatten, den höchsten Ruhm davongetragen hätte, drückte sich 
im Unterhause sehr resigniert dahin aus, daß die Aktion der Mächte 
nicht durch Vernunft und Bölkerrecht geregelt wird, sondern durch 
die Rücksichten, die das eigene Interesse jeder einzelnen Macht er- 
fordert (S. 512 f.). Auch seine Feststellung im Unterhaus (am 
10. März), daß England „in dieser Angelegenheit in einmütigem 
Wunsche mit Deutschland zusammengearbeitet“ habe (S. 500), hatte 
keine praktischen Folgen. In seinen Verhandlungen mit der Türkei 
über die Bagdadbahn vermied es Sir Edward Grey, daß Deutschland 
 
	        
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