Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Denisqe Reiq uud seine einjelnen Glieder. (Februar 11.) 67 
Welfen und der Hohenzollern beizulegen. Aber in der Oeffentlichkeit hatte 
man den Eindruck, als ob er auf der andern Seite bei dem Herzog von 
Cumberland keine Gegenliebe fand.“ — Der „Hannoversche Courier“: 
„Er wird ein Markstein bleiben in der deutschen Geschichte, dieser Montag 
nach Invocavit des Jahres 1913. Einem langen Zwist ist ein freudiges 
Ende gesetzt. Versöhnt haben die Häupter der Häuser Zollern und Welf 
einander die Hände geschüttelt, und als Zeichen des denkwürdigen Er- 
eignisses ist ein neuer Ehebund gestiftet; der erste zwischen beiden Familien 
seit dem an solchen Verschwägerungen so reichen achtzehnten Jahrhundert. 
Die politische Wirkung der vollzogenen Tatsache wird groß sein. Nach 
außen moralisch, im Innern praktisch. Die Festigkeit des Reiches gewinnt, 
indem dem Baum des Welfentums nunmehr die Wurzel abgegraben ist. 
Wenn das welfische Haus seinen Frieden mit Preußen gemacht hat, dann 
ist die welfische Partei ihrer Lebensfähigkeit beraubt. Zweitens ist nun 
auch die braunschweigische Frage gelöst. Herzog Ernst August hat ja vor 
sechs Jahren schon erklärt, er sei bereit, den vom Bundesrat gestellten Be- 
dingungen zu entsprechen.“ — Die „Frankfurter Zeitung“: „Die Ver- 
lobung hat nicht nur für die zunächst Beteiligten persönliches und höfisches 
Interesse; es kommt ihr daneben auch eine gewisse politische Bedeutung zu. 
Indem die Tochter des Kaisers und der Sohn des Herzogs von Cumber- 
land, des hannoverschen Prätendenten, sich verbinden, findet der Streit 
zwischen Hohenzollern und Welfen ein Ende, der als letzter Rest der dyna- 
stischen Zwistigkeiten aus den Jahren 1866 und 1870 zurückgeblieben war. 
Die Beziehungen zwischen den beiden Häusern hatten sich schon seit längerer 
Zeit so entwickelt, daß man eine Versöhnung erwarten konnte; es war aber 
bisher nicht möglich gewesen, die Formel für den Friedensschluß zu finden. 
Jetzt ist das offenbar gelungen; die Tatsache der Verlobung erleichtert es 
beiden Teilen, sich über formale Schwierigkeiten hinwegzusetzen, und so er- 
weist sich hier wieder einmal eine planvolle Heiratspolitik, wie sie auch 
Bismarck gelegentlich nicht verschmähte, um die durch den Gang der Ge- 
schichte benachteiligten Fürstenhäuser zu trösten, als eine politische Methode, 
die trotz ihres Alters auch für die völlig geänderten verfassungsrechtlichen 
Verhältnisse der Gegenwart ihre Anwendungsfähigkeit nicht völlig verloren 
hat.“ — Das „Leipziger Tageblatt“: „Man weiß noch nichts von der 
Regelung der politisch-staatsrechtlichen Seite der Sache. Ist die „Welfen- 
frage“ nun für alle Zeit aus der Tagesgeschichte gestrichen? Sicher ist 
wohl, daß der Verlobte der Kaisertochter im Einverständnis mit seinem 
Vater endgültig die Thronanwartschaft auf Hannover aufgegeben hat: die 
Vorbedingung einer etwaigen Berufung als Herzog von Braunschweig! 
Ganz unbeantwortet muß man die Frage lassen, wie sich der welfische 
Prinz mit den Ueberlieferungen seines Hauses abzufinden gedenkt. Mag 
er sich, wie das nunmehr erwartet werden muß, zur rückhaltlosen An- 
erkennung der Geschichte des Reiches entschlossen haben: was er zunächst 
nicht wird hindern können, ist die Wiederbelebung der Welfenpartei und 
ihrer partikularistischen Politik. Der Geist Windthorsts, des einstigen Be- 
raters des Herzogs von Cumberland, hat diese Politik bis in die letzten 
Jahre beseelt, und man weiß, wie stark das Mißtrauen war, das Bismarck 
allen welfischen Plänen entgegenbrachte. Hoffen wir, daß kein Grund mehr 
ist, dieses Mißtrauen aufleben zu lassen!“ — Die „Post“: „Es muß immer 
wieder betont werden, daß die welfische Frage keine höfische oder rein 
doynastische ist, sondern vor allem eine staatsrechtliche und nationale von 
größter politischer Bedeutung. Es würde nach unserer Ansicht eine Illusion 
sein, wollte man annehmen, daß durch die persönliche Verbindung der 
beiden Herrscherhäuser auch die welfische Frage erledigt sei. Der Vater des 
5
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.