Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

804 Mebersicht über die politische Entwichluns des Jahres 1913. 
das Hauptaugenmerk der Regierung und des Volkes auch noch im 
Jahre 1913 in Anspruch nahm. Die Veränderungen auf der Balkan- 
halbinsel berührten das Interesse Italiens, wie der Minister des 
Außern Marquis di San Giuliano bereits am 22. Februar in der 
Kammer hervorhob, durch zwei große, davon in Mitleidenschaft ge- 
zogene Probleme: „das Gleichgewicht in der Adria und das Gleich- 
gewicht im Mittelmeer“. In bezug auf das erstere bedeutet wegen 
der strategischen Wichtigkeit der Straße von Otranto als Abschluß 
des Adriatischen Meeres die Regelung der Südgrenze des durch die 
Botschafterreunion geschaffenen autonomen Staates Albanien für 
Italien ein unverkennbares Lebensinteresse. Es war vorteilhaft, 
daß die italienische Politik mit derjenigen OÖsterreich-Ungarns in 
vollster Übereinstimmung diese für beide gleich wichtige Aufgabe 
übernehmen konnte. Damit war, solange die Balkanfragen im Vorder- 
grunde des Interesses standen, die frühere Rivalität zwischen den 
beiden am Adriatischen Meere gelegenen Großstaaten gerade in be- 
zug auf die Zukunft Albaniens aufs glücklichste ausgeschieden. Der 
Auswärtige Minister konnte am 16. Dezember in der Kammer fest- 
stellen: „Volk und Parlament zeigten aber auch wiederholt Ver- 
ständnis dafür, daß eine auf den Dreibund und innerhalb des Drei- 
bundes auf gefestigte Beziehungen zwischen Italien und Osterreich= 
Ungarn begründete Politik besser ist als jede andere und den großen 
nationalen Interessen entspricht“ (S. 590). Die österreichische Auf- 
fassung, daß Serbien der von ihm gewünschte Zugang zum Adria- 
tischen Meere verwehrt bleiben müsse, konnte von der italienischen 
Regierung stillschweigend gutgeheißen werden. Denn wenn auch 
von Serbien selbst eine Beunruhigung auf dem Adriatischen Meere 
nicht zu befürchten war, so konnte doch leicht infolge der weit- 
getriebenen Abhängigkeit dieses südslawischen Staates von der russi- 
schen Politik ein den Serben eingeräumter Hafen an der Adria in 
einer künftigen Krisis zum Stützpunkt einer russischen oder fran- 
zösischen oder aber auch englischen Flotte dienen, die dadurch das 
Gleichgewicht auf dem Adriatischen Meere zu stören vermochte. Weil 
aber die serbische Politik seit 1908 mit fanatischer Einseitigkeit auf 
die Feindschaft gegen ÖOsterreich-Ungarn eingestellt war, hatte Italien 
nicht nötig, diesen indirekten Interessengegensatz zu betonen, sondern
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.