Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Mebersicht über die pelitische Eutwichlung des Jahres 1913. 809 
der Flächeninhalt der europäischen Türkei 169 317 QOuadratkilometer 
betragen, also halb so viel, wie der des Königreichs Preußen; am Schluß 
des Jahres 1913 betrug er 28180 OQuadratkilometer, d. i. ein Drittel 
des Königreichs Bayern, etwa das Areal der Provinz Posen. 
An Bevölkerungszahl hatte die europäische Türkei am Anfang des 
Jahres 6,13 Millionen, etwas weniger als das Königreich Bayern; 
am Jahresende nur noch 1,891 Millionen, also weniger als die 
Provinz Posen. Dabei hatten ihr nicht nur die verbündeten Balkan- 
staaten, sondern auch die europäischen Großmächte noch eine weitere 
Gebietseinschränkung zugedacht; man verlangte von ihr noch die Ab- 
tretung des Wilajets Adrianopel mit 22380 Quadratkilometern und 
610000 Einwohnern, obwohl dieses Gebiet von den vereinigten Bul- 
garen und Serben noch nicht erobert war. Auch diesen Verlust wollte 
sich die türkische Regierung, durch russische Drohungen eingeschüchtert, 
gefallen lassen. Die am Ruder befindliche alttürkische Partei hielt 
den Friedensschluß unter so harten Bedingungen immer noch für 
das kleinere übel. Um die Verantwortung dafür von sich abzu- 
wälzen, verfiel sie auf das Auskunftsmittel, eine Notabelnversamm- 
lung zu berufen, an der 70 Mitglieder teilnahmen, die mit allen 
gegen eine Stimme den Friedensschluß guthießen. Man gab diesen 
„Nat der Altesten“ als eine Nationalversammlung aus, wie sie in 
der früheren Geschichte der Osmanen in schwierigen Lagen wieder- 
holt berufen worden war. Aber in der fernen Vergangenheit hatten 
die Sultane immer die wahrhaften Häupter des Volkes und Führer 
im Kampfe zusammengerufen; diesmal entsprach die Auswahl der 
Willkür des Ministeriums und dem Zweck, nur Männer von aus- 
gesprochener Friedensliebe heranzuziehen. Gegen dieses, nach innen 
und nach außen feige Verfahren empörte sich die jungtürkische Partei 
unter Führung des Offizierkorps. Der energische Oberst Enver Bey 
drang an der Spitze einer erregten Masse in das Kabinett des 
Großwesirs Kiamil ein und zwang ihn, abzudanken. Darauf eilte 
er zum Sultan und nötigte ihn zur Berufung eines neuen Mini- 
steriums aus der Zahl seiner eigenen Parteigänger gemäßigter 
Richtung. Durch diese Revolte vom 23. Januar, bei der Enver 
Bey den Kriegsminister Nazim erschoß, war die Partei „Einheit 
und Fortschritt“ in den Besitz der Staatsgewalt gelangt. Ob das
	        
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