812 Nebersicht über die pelitische Entwicklung des Jahres 1913.
alle finanziellen Fragen, die durch den Ausgang des Krieges ver-
ursacht waren, vertrauensvoll der Regelung durch die Großmächte.
Damit war sie ihre auswärtigen Sorgen zunächst los. Aber die
Entrüstung über einen Friedensschluß, der auch die ehrwürdige
Stadt Adrianopel den Bulgaren überließ, machte sich in einer Ver-
schwörung gegen das Leben des Großwesirs Mahmud Schewet
Pascha Luft, der durch die Revolte Enver Beys als Retter der
nationalen Ehre auf seinen Posten gesetzt war. Am 11. Juni wurde
er in Konstantinopel ermordet, und es ergab sich, daß sechsund-
dreißig Verschworene, die mit einem größeren Kreise angesehener
Politiker in Verbindung gestanden hatten, einen neuen Umschwung
geplant hatten. Zwölf der Verschworenen wurden am 24. Juni
durch den Strang hingerichtet. Während die früher verbündeten
Balkanstaaten ihren Beutestreit durch diplomatische Mittel und
einen neuen militärischen Aufmarsch vorbereiteten, blieb die Türkei
zunächst ein unbeteiligter Zuschauer. Aber es war ein großer Vor-
teil für sie, daß jetzt auch Rumänien energisch Kompensationen
forderte und eine für Bulgarien sehr bedrohliche Haltung annahm.
Namentlich der Mißerfolg des Schiedsgerichtes, das die russische
Regierung an sich riß, war geeignet, die türkischen Hoffnungen auf
Besserung der so tief herabgewürdigten Stellung des Sultans auf
der Balkanhalbinsel zu beleben. Als der zweite Balkankrieg zwischen
Bulgarien einerseits und den vier Mächten Rumänien, Serbien,
Montenegro und Griechenland andererseits ausgebrochen war, ergab
sich auch für die Türkei die Möglichkeit, auf Kosten Bulgariens
einen Teil ihres verlorenen Gebiets wiederzugewinnen. In der
Nacht vom 12. zum 13. Juli rückte eine türkische Armee von der
Tschataldschalinie und von Bulair in der Richtung auf Adrianopel
vor. Da die Bulgaren ihre Kräfte zum Schutze ihrer Hauptstadt
gegen die Rumänen und Serben nach Norden dirigiert hatten,
konnte Adrianopel am 22. Juli ohne Widerstand besetzt werden.
Zwar versuchten die Botschafter der sechs Mächte die Hohe Pforte
zur Einhaltung der Bedingungen des Londoner Friedens zu be-
wegen. Aber die Türkei entzog sich mit Berufung auf die von den
Bulgaren in Thrazien begangenen Greueltaten dem Drucke und
schloß mit dem hartbedrängten Bulgarien einen neuen Friedens-