Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Mebersicht über die politische Entwichlung des Jahres 1913. 815 
konferenz in Bukarest zur Schlichtung aller Streitigkeiten zwischen 
den christlichen Balkanstaaten zu beschicken. Durch den Frieden vom 
10. August trat Bulgarien einen Teil der Dobrudscha und Silistria 
an Rumänien ab und mußte sich verpflichten, die Befestigungen 
von Rustschuk, Schumla und Baltschik innerhalb zwei Jahren zu 
schleifen. Die Grenzberichtigung mit Griechenland bedeutete nament- 
lich den Verlust des wichtigen Küstenortes Kawala. An Serbien 
mußte ein Teil Mazedoniens abgetreten werden. In seinem Tages- 
befehl an das Heer beklagte der König, daß er infolge des zweiten 
Balkankrieges auf Monastir, Ochrida, Dibra, Perlepe, Saloniki, 
Serres und andere bulgarische Gebiete verzichten mußte; „erschöpft 
und ermüdet, aber nicht besiegt, mußten wir unsere glorreichen Fahnen 
für bessere Tage zusammenhalten“ (11. August). Aber auch gegen 
die Türkei wollte das Ministerium Radoslowow die Feindseligkeiten 
nicht wieder aufnehmen. Durch direkte Verhandlungen in Konstanti- 
nopel einigte man sich auf die S. 651 f. näher beschriebene Grenze, 
durch die alle Schlachtfelder der bulgarischen Siege der Türkei ver- 
blieben. So hatte Bulgarien als Ergebnis der beiden Balkankriege nur 
einen Gewinn von 23000 Quadratkilometer zu verzeichnen, dem ein 
Verlust alten Besitzes von über 7500 Quadratkilometer gegenüberstand. 
Gegen seinen früheren Besitz hatte es 20% gewonnen und 8% ver- 
loren und seine Einwohnerzahl nur um 400000 Seelen vermehrt. 
Es stand jetzt an Areal in der Mitte zwischen Serbien und Griechen- 
land, die ihm auch an Einwohnerzahl sehr nahe gerückt waren, 
während es früher fast um die Hälfte mehr Untertanen gehabt 
hatte als jeder der beiden Rivalen. Noch setzte die Regierung ihre 
Hoffnungen auf eine Revision des Bukarester Friedens durch die 
Großmächte unter dem Gesichtspunkte der endgültigen Wieder- 
herstellung eines „Gleichgewichtes“ auf der Balkanhalbinsel (S. 654). 
Aber man fand mit dieser Idee nur bei Österreich-Ungarn Anklang, 
während alle übrigen Großmächte die eben erst wiederhergestellte 
Ruhe nicht wieder gefährden wollten. Erregte Erörterungen über 
die begangenen politischen Fehler und über die Frage, wer die Ver- 
antwortung dafür zu tragen habe, beschäftigten daher die öffentliche 
Meinung Bulgariens in den beiden letzten Monaten des Jahres. 
Das Kalendarium gibt die Selbstverteidigung der Regierung (S.654f.),
	        
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