Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Neunundzwanzigster Jahrgang. 1913. (54)

Das Beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19.) 73 
eines Gesetzes betreffend die Aufhebung des Gesetzes über den Orden 
der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872. 
Abg. Dr. Spahn (3.): Viermal hat seit dem Jahre 1882 der Reichs- 
tag die Aufhebung des Gesetzes, betreffend den Orden der Gesellschaft 
Jesu beschlossen. Wir sind, da die Aufhebung nicht erfolgt ist, genötigt 
gewesen, am 14. Februar 1912 ernenut den Antrag auf Aufhebung des Ge- 
setzes zu stellen, um den Reichstag zu veranlassen, einen erneuten Beschluß 
in dieser Frage zu fassen. Der Antrag lautet: 
§ 1. Das Gesetz, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 
4. Juli 1872 (Reichs-Gesetzblatt S. 253) wird aufgehoben. — § 2. Die zur 
Ausführung und zur Sicherstellung des Vollzugs des im § 1 genannten 
Gesetzes erlassenen Anordnungen verlieren ihre Gültigkeit. — § 3. Das 
gegenwärtige Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündigung in Kraft. 
Zu diesem Antrag ist nunmehr ein Unterantrag von den Herren 
Dr. Ablaß und Genossen gestellt worden, der dem § 2, welcher den Verlust 
der Gültigkeit der getroffenen Anordnungen des Bundesrats ausspricht, 
hinzugefügt haben will: Die landesrechtlichen Vorschriften über den Orden 
der Gesellschaft Jesu bleiben unberührt. 
Mit dem Abbruch des Kulturkampfs wurde anerkannt, daß alle 
die Maßregeln, die gegen die katholische Kirche ergriffen worden waren, 
einschließlich des Jesuitengesetzes, auf falscher Voraussetzung beruht hatten, 
daß sie in ihren Wirkungen falsch beurteilt worden waren, daß ein staat- 
liches Interesse für die Aufrechterhaltung derartiger Maßregeln nicht vor- 
handen war. Ich gebe zu, daß innerkirchliche Wirren vorgelegen hatten, 
aber diese innerkirchlichen Wirren hatten für den Staat keine Bedeutung. 
Der Gesichtspunkt, der bei diesen Gesetzen in den Vordergrund geschoben 
worden war, daß man dafür sorgen müsse, daß die Unabhängigkeit des 
einzelnen gegen geistliche Gewalt gesichert sei, daß für die Parität der 
verschiedenen Religionsgenossen in Deutschland vorgesorgt werden müsse, 
traf auf das Verhalten der Katholiken nicht zu. Wenn man den Zusammen- 
hang der Entstehung dieses Gesetzes mit dem Vatikanischen Konzil festhält, 
wenn man die Ausführungen unserer eigenen Bischöfe, welche die berufenen 
Beurteiler dessen sind, was katholische Lehre ist und was sie im Interesse 
der Pflege der Religion bei den Katholiken an Kräften und Anstalten be- 
dürfen, wenn man sieht, wie unsere Bischöfe das Jefuitengesetz als einen 
Eingriff in die Lehren der katholischen Kirche, in die Rechte der Bischöfe, 
in die Glaubensfreiheit des einzelnen bezeichnet haben, dann kann man 
sich nicht auf den Boden stellen, daß dieses Gesetz kein Kampfgesetz gegen 
die katholische Kirche sei. Ist es aber das, dann, meine ich, läge es un- 
bedingt im Interesse des religiösen Friedens, daß, wie andere Kulturkampf- 
gesetze, so auch dieses Gesetz beseitigt werde. Was haben nun die Jesuiten, 
nachdem das Vaticanum in Tätigkeit getreten war, getan? Sie haben in 
ihren Zeitschriften in philosophisch-theologischen und staatsrechtlichen Er- 
örterungen die Grundfragen von Staat und Kirche ihren Lesern dargelegt. 
Man kann über einzelne Darlegungen der ZJesuiten verschiedener Meinung 
sein, man mag einzelne auch nicht billigen; aber was bedeutet das für 
dieses Gesetz, das durch die Vertreibung die Jesuiten überhaupt mundtot 
machen will? Nach einem Katalog eines Niederländers Sommervogel hat 
es im Jahre 1880 bereits 300000 schriftstellernde Jesuiten gegeben, und seit 
1880 hat sich die Zahl voraussichtlich um mehrere Tausend noch vermehrt. 
Was will es da besagen, wenn einzelne Meinungsverschiedenheiten aufgetreten 
sind, und wer von uns in unserem modernen Zeitalter mit seiner besonderen 
Betonung des Individualismus will den Jefuiten und dem Orden als
	        
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