74 Das Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19.)
solchem daraus einen Vorwurf machen? Durch alle diese Einzeläußerungen
kann niemals der konfessionelle Friede gestört werden, weil sie nur Aeuße-
rungen sind, die nicht der Orden als solcher oder die katholische Kirche sich
angeeignet hat, und tatsächlich ist auch in all den Ländern, in denen die
Jesuiten seit dem Vaticanum tätig sein konnten — und ich will betonen:
es sind überwiegend die protestantischen Länder, nicht die katholischen —,
niemals eine Störung des konfessionellen Friedens hervorgetreten. Ich halte
deshalb Bedenken, die nach der Richtung hergeleitet werden, für vollständig
abwegig. Noch etwas anderes möchte ich betonen. Auf dem Gebiet der
Politik sind die Jesuiten, die auf sonst so vielen, ich möchte sagen, auf
allen Gebieten tätig sind, nicht tätig, weil ihre eigene Ordensregel ihnen
die Teilnahme am politischen Betriebe verboten hat. (Sehr richtig! im
Zentrum.) Soweit ein einzelnes Mitglied des Jefuitenordens in die Lage
gekommen ist, sich politisch zu äußern oder politisch tätig zu sein, ist es
nur unter Genehmigung des Generals des Ordens geschehen, und diese
Genehmigung ist, wie die Geschichte erweist, durchweg unter schweren Be-
denken erteilt worden, und manchmal — das ist zuzugestehen — waren die
Bedenken gerechtfertigt: der General wäre vereinzelt richtiger bei seinem
Widerstand gegen eine solche Berufung, die von Fürsten an die Jesuiten
gerichtet war, auf seinem ablehnenden Entschlusse geblieben. Ich will auf
die Vorwürfe, die den Jefuiten gemacht werden aus der Zeit der Re-
formation, der Gegenreformation, des dreißigjährigen Krieges, der Auf-
hebung durch den Papst nicht weiter eingehen; es hat keinen Zweck. Wer
sich für die Einzelheiten interessiert, findet das Material in schriftstellerischen
Werken. Ich verweise auf das neueste Werk, das speziell für die Gegen-
reformation in Betracht kommt: auf die Geschichte der Jesuiten von
Duhr, von der zwei Bände kürzlich erschienen sind, die so viel akten-
mäßiges, einwandfreies Material bringen, daß ich wohl sagen darf: Be-
denken, die seither aus evangelischen Kreisen gegen die Jesuiten geltend
gemacht worden sind, müssen jetzt schwinden. Es wird durch das Material
dargetan, daß die Jesuiten nicht durch Gewalt, sondern durch geistige
Waffen: Wissenschaft, Sittenreinheit, tugendhaften Lebenswandel, durch ihre
unermüdliche Tätigkeit in der religiösen Belehrung und durch immer-
währenden Hinweis, daß der, der zur Kirche zurückkehrt, aus innerer Ueber-
zeugung zurückkehren müsse, — daß sie durch diese Haltung die Gegen-
reformation gefördert haben. Unlautere Beweggründe, verwerfliche Handlungs-
weise ihnen vorzuwerfen, hat niemand mehr ein Recht. Aber auch aus
früheren Fehlern und Mißgriffen und falschen Aeußerungen einzelner kann
keine Gesetzgebung das Recht herleiten, die lebenden Mitglieder mit physischer
Gewalt zu bekämpfen, wie es in der Erzwingung der Auswanderung ge-
schieht. Ich habe noch eine kurze Bemerkung hinzuzufügen zu dem Antrage,
der von dem Herrn Abgeordneten Dr. Ablaß gestellt ist. Ob es dieses
Antrags bedarf, lasse ich dahingestellt: ich bin aber der Ansicht, daß der
Antrag hier in diesem Hause eine Erledigung nicht finden kann, und zwar
aus folgenden Gründen. Würde er nur Bedeutung haben für die Frage
der Niederlassung, über die meist eine Bestimmung in den Verfassungen
der einzelnen Staaten getroffen ist, so ließe sich die Tragweite des Antrags
übersehen. Soweit aber der Antrag Bedeutung haben soll auch für priester-
liche Handlungen, läßt sich die Tragweite ohne Detailkenntnisse der ein-
zelnen Gesetze nicht übersehen. Namentlich läßt sich nicht übersehen, in-
wieweit die Reichsgesetze bereits jent in die einzelnen kirchenpolitischen
Gesetze eingreifen, wieweit namentlich das Vereinsgesetz in sie eingreift.
Und dann, meine Herren, ist die Frage keine Frage der Reichsgesetzgebung
— es handelt sich ja nur um das, was in den Einzelstaaten geschehen