Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

62 Das Dertsche Reith und seine einzelnen Glieder. (Februar 3.) 
steht, um den Wirtschaftlichen Ausschuß leistungsfähig zu erhalten und 
dort alle Interessen zum Ausdruck kommen zu lassen; aber ich scheue mich, 
Schritte zu tun, die in der Richtung einer größeren, fester gefügten 
Organisation liegen und nur zu einer Art Neben- oder Zollparlament 
führen würden; ich würde die Schaffung einer solchen Organisation weder 
im Interesse des Reichstages, noch der verbündeten Regierungen für zweck- 
mäßig halten.“ 
Auf die Frage des Streikpostenstehens geht im Laufe der Debatte 
der konservative Redner Graf v. Westarp mit folgenden Ausführungen 
ein: „Wir sind durchaus nicht gewillt, den Arbeitern das Koalitionsrecht, 
das sie haben, zu nehmen oder zu beschränken. Auch wir stehen durchaus 
sympathisch gegenüber den Organisationen, die sich die Arbeiter auf dem 
Boden der bürgerlichen Gesellschaft geschaffen haben. Auch wir wollen, daß 
die christlichen Gewerkschaften gewisse Schwierigkeiten überwinden und daß 
ihre gedeihliche Fortentwicklung nicht gestört wird. Auch wir wünschen, daß 
die sogenannten wirtschaftlich-friedlichen Organisationen sich weiter entwickeln, 
und daß gewisse Unstimmigkeiten und Streitigkeiten, die zwischen den christ- 
lichen Gewerkschaften und den wirtschaftlich-friedlichen Organisationen her- 
vorgetreten sind, fortgeräumt werden möchten, damit beide auf dem Boden 
der bürgerlichen Gesellschaft stehenden Organisationen zusammenarbeiten und 
ihre Aufgabe erfüllen. Zu meinem Bedauern hat der Abg. Bassermann aus- 
gesprochen, daß die Nationalliberalen unserem Antrage nicht zustimmen 
könnten, weil er ein Verbot des Streikpostenstehens fordere. Er hat aus- 
geführt, daß nach dem bestehenden rechtlichen Zustand ein solches Verbot 
nicht erforderlich sei, weil die Polizeibehörde auch heute den Bedrohungen 
der persönlichen Freiheit entgegenwirken könne. Er beruft sich auf das all- 
gemeine Landrecht, wonach es Aufgabe der Polizeibehörden sei, Gefahren 
für die öffentliche Ruhe und Sicherheit abzuwenden, und daß die Besorgnis 
für Störungen ausreiche, um die Polizeibehörden zum Einschreiten zu ver- 
anlassen. Das ist richtig, aber die Polizeibehörde darf nur dann einschreiten, 
wenn im konkreten Falle besondere Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis 
rechtfertigen, daß die öffentliche Ruhe und Sicherheit gesährdet ist. In dieser 
Beschränkung auf den konkreten Fall reicht diese Vorschrift nicht aus, um 
die Mißstände zu beseitigen. Wäre das der Fall, dann würden wir ja 
einen besonderen Polizeischutz gar nicht brauchen. Aber man soll nicht nur 
konkreten Fällen vorbeugen, sondern auch abstrakten. Das Streikpostenstehen. 
ist ein solch abstraktes Mittel. Es dient jetzt dazu, die Arbeiter einzuschüch- 
tern. Das ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit. Die andere rechtliche 
Quelle eines Einschreitens gegen das Streikpostenstehen sieht man in der 
Straßenpolizeiordnung. Diese ist doch in der Hauptsache mehr eine Vor- 
schrift, um den öffentlichen Verkehr aufrechtzuerhalten. In dieser Beziehung 
stimme ich dem Abg. Heine zu, so ungern ich es auch sonst tue. Da das 
Streikpostenstehen aber ein Eingriff in die persönliche Freiheit ist, so reicht 
diese Polizeiverordnung nicht aus. Weite Kreise der Industrie und des 
Mittelstandes haben das Empfinden, daß die Zustände nicht so bleiben 
können. Das Recht bietet der Polizeibehörde nicht die nötige Waffe. Im 
Interesse der Industrie und des Mittelstandes ist darum ein Verbot des 
Streikpostenstehens nötig.“ 
3. Februar. (Reichstagsersatzwahl.) Bei der Reichstags- 
ersatzwahl im Wahlkreise Baden VII (Offenburg) fielen auf Pro- 
fessor Joseph Wirth-Freiburg (3.) 12259, auf Kaufmann Leppold 
Kölsch-Karlsruhe (Nl.) 9616 und auf Redakteur Franz Geißler=
	        
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