Vas Beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 4.) 65
Der Abgeordnete Dr. Laszewski (P.) beschwert sich über die Hand-
babung des Vereinsgesetzes gegen die Polen und erklärt den Sprachen-
paragraphen für ein politisches Ausnahmegesetz. Abg. Legien (Sd.): „Trotz
aller Versprechungen vom Regierungstisch wird das Vereinsgesetz nach wie
vor kleinlich angewandt. Die Liberalen haben sich auf seine Erklärungen
verlassen. Aber in Essen wurden die Listen des Transportarbeiterverbandes
beschlagnahmt und der Eisenbahnbehörde ausgeliefert. Diese Handlung der
Esiener Polizeibehörde stellt nichts anderes als einen Einbruchdiebstahl dar.
(Sehr richtig" bei den Sd.) Wo sind denn die Staatsanwälte? Hier be-
darf es keiner Anzeige, hier muß die Staatsanwaltschaft selbständig vor-
gehen. Gewerkschaftliche Versammlungen werden als politische behandelt.
Das ist unsinnig. Wie kann man den Deutschen Holzarbeiterverband als
volitisch bezeichnen? Das ganze Ueberwachungsrecht der Polizei muß be-
seitigt werden.“ Redner führt eine Anzahl von Fällen auf, in denen seiner
Ansicht nach das Recht gebeugt worden ist und greift besonders den Ber-
liner Polizeipräsidenten von Jagow an. Abg. Marr (3.): „Für die Sozial-
demokraten gibt es kein besseres Agitationsmittel als die Handhabung und
Auslegung des Reichsvereinsgesetzes. (Sehr richtig!" bei den Sd.) Das
Vereinsgesetz ist das Produkt einer gewissen Zeit, an die man jetzt nicht
mehr gern erinnert sein will, aber auch die an seiner Schaffung stärker
beteiligten Parteien sollten ein besonderes Interesse daran haben, daß seine
Anwendung den Grundsätzen des Rechts entspricht. (Sehr gut! im Z.) Wir
beklagen das Unrecht, auch wenn es volitischen Gegnern geschieht. Wenn
die freien Gewerkschaften sich darüber beklagen, daß sie als sozialdemokratisch
angesehen werden, so haben sie zum großen Teil selbst schuld daran. Sehr
oft wird doch von diesen Kreisen energisch betont, daß freie Gewerkschaft
und sozialdemokratische Partei eins sind. (Sehr richtig! im Z.) Der
Sprachenparagraph, dessen Aufhebung wir in unserer Resolution beantragen,
ist wohl die anfechtbarste Bestimmung des ganzen Vereinsgesetzes. Einem
solchen Staat wie Preußen steht es doch nicht an, mit so kleinlichen Mitteln
die Staatsautorität zu betonen wie mit dem Verbot des Amundsenschen
Vortrages in norwegischer Sprache. (Lebhafte Zustimmung l. und im Z3.)
In Essen ist eine polnische Marianische Kongregation, also eine rein kirch-
liche Organisation, als politischer Verein behandelt worden, und ebenso ist
es vielen andern kirchlichen Vereinen gegangen. (Hört, hört! im Z.) Daß
wir in unserer Resolution die unbeschränkte Beteiligung jugendlicher Per-
sonen an politischen Vereinen und Versammlungen zulassen wollen, hat den
Unwillen der Deutschen Tageszeitung erregt. (Sehr richtig! r.) Wir be-
finden uns dabei aber in der besten Gesellschaft, nämlich in der des frühern
Staatssekretärs, des jetzigen Reichskanzlers. (Hört, hört! und Heiterkeit.)
Der hat seinerzeit ausgeführt, es sei notwendig, schon die Jugend politisch
heranzubilden, um sie vor der sozialdemokratischen Beeinflussung zu schützen.
Besser kann ich auch unsern Antrag nicht begründen. Gewiß, die Jugend
sollte eigentlich dem politischen Kampfe fernbleiben, aber die Zeiten haben
sich geändert und viele werden von ihm mit fortgerissen. Die Sozial-
demokratie organisiert trotz des Vereinsgesetzes die Fugend politisch, und
der Jugendlichenparagraph hindert nur die bürgerlichen Parteien, dem
sozialdemokratischen Gift, das der Jugend gereicht wird, mit Gegengift
entgegenzuwirken. (Sehr richtig! im Z.) Uns hindert dieser Paragraph, der
Jugend die richtige Weltanschauung zu bringen.“
Direktor im Reichsamt des Innern Lewald: „Seit dem Inkraft-
treten des Reichsvereinsgesetzes sind Klagen über die Handhabung laut ge-
worden. In welcher Lage befinden sich nun die verbündeten Regierungen
diesen Klagen gegenüber? Wie bei fast allen andern Reichsgesetzen liegt ja
Europeischer Geschichtskalender. LV. 5