Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

74 Das Deische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 16.) 
handlungen ist bemerkenswert: Der Bundesdirektor Dr. Hahn sprach über 
die mutmaßliche Stellungnahme der Parteien im Kampfe um die Er- 
neuerung der Handelsverträge. Mit dem alten Freisinn, sagte Hahn, würden 
wir, wenn die Regierung eine vernünftige Sammelpolitik triebe, schließlich 
zusammengehen, aber heute wird der Freisinn jüdisch und demokrauisch be- 
einflußt und mit den jüdisch-demokratischen Drahtziehern in Berlin können wir 
uns niemals verständigen. Unter den Nationalliberalen haben wir noch 
gute Freunde und können mit diesen zusammengehen in der Aufrecht- 
erhaltung der Autorität, im besseren Schutz der Arbeitswilligen, in Schutz 
und Förderung der selbständigen Existenzen. Es muß diese Partei aber 
den Zug nach links ausgeben. Das Zentrum sollte uns dankbar sein für 
die Objektivität, die wir ihm bewiesen haben. Auch das Zentrum sollte der 
Demokratie entgegentreten und sich vor die Monarchie stellen. Wir sind 
hierher gekommen, um zu zeigen, daß die deutsche Landwirtschaft politisch 
noch marschiert im Kampf für die Armee und gegen die Demokratie und unsere 
heutigen Kundgebungen beweisen, daß der Bund der Landwirte auf dem 
Posten ist wie je zuvor. Herr v. Oldenburg-Januschau äußerte sich in 
charakteristischer Weise über die politische Lage. Er sprach über die Not- 
wendigkeit eines gesunden Egoismus in der Politik und kritisierte scharf den 
Reichskanzler. „Wenn er der Ansicht ist, fuhr er fort, daß er seine Politik 
sich zuschneiden muß, wie er sie im Reichstag durchsetzen kann, dann ist 
das ein falscher Standpunkt. (Sehr richtig!) Wenn der Reichskanzler glaubt, 
im vaterländischen Sinne etwas durchsetzen zu müssen, dann hat er sich 
nicht nach dem Reichstag zu richten, sondern er hat die Verpflichtung, sich 
einen anderen Reichstag zu besorgen.“ (Stürmischer minutenlanger Beifall.) 
Der Redner sprach dann über den Partikularismus in Deutschland. Er 
bemerkt in Anspielung auf die Zeitereignisse: „Ein gesunder Partikularismus 
ist das konservative Prinzip in Deutschland. Ich verstehe vollkommen und 
begrüße es, wenn die einzelnen Stämme an ihrer Geschichte und an ihren 
Fürstenhäusern festhalten. Ob sie uns Saupreußen nennen, ist uns ganz 
wurscht. Beifall.) Wir erwarten weder noch verlangen wir deswegen ein 
Telegramm des Grafen pertling an den Herrn v. Bethmann Hollweg. 
(Stürmische Heiterkeit.) Aber wir bitten Sie: Lassen Sie uns unsere ruhm- 
reiche Geschichte, die unzertrennlich ist von den Siegen und den Großtaten 
unserer preußischen Könige, ohne die es kein Preußen, aber auch kein Deutsches 
Reich gäbe. (Stürmischer Beifall.) Das Verständnis dringt immer mehr 
durch auch in süddeutschen Staaten, welche gewaltige Bedeutung auch für 
Süddeutschland die preußische Eigenart hat. Und meine lieben Bayern! 
Wenn wir hier in Preußen verzagen sollten in dem Kampf um die Er- 
haltung unserer preußischen Verfassung, die ein Fundament ist der Sicher- 
heit der Krone Preußens, dann kommen Sie her, machen Sie uns Courage!“ 
(Stürmischer minntenlanger Beifall.) Nach weiteren Ausführungen über die 
Stellung der Krone und über die Armee bemerkt er dann weiter: „Es gibt 
Dinge, die man durch staatsmännische Erwägungen entschuldigen kann, aber es 
gibtkeine Erwägungen patriotischer oder staatsmännischer Art, die die Wahl eines 
Sozialdemokraten — und namentlich solcher Sozialdemokraten — in die höchste 
Stelle, die das Volk zu vergeben hat, entschuldigen kann. Stürmischer Beifall.) 
Ichmußgestehen, ich habeeinmal eine furchtbare Dummheit gemacht. (Heiterkeit.) 
Ich habe 1906 im Gegensatz von einem Teil zu einem Teil meiner konservativen 
Freunde für die sogenannte „kleine Erbschaftssteuer“ gestimmt. Ich glaubte da- 
mals noch, daß man sich auf Erklärungen der verbündeten Regierungen verlassen 
könnte. Heiterkeit.) Ich bin hereingefallen. Erneute Heiterkeit.) Die Minister, 
die damals erklärten, eine Erbschaftssteuer auf Kinder und Ehegatten wäre 
der erste Schritt zum sozialistischen Staat, haben zwei bis drei Jahre später
	        
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