Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das De#he Reic und seine einzelnen Glieder. (Februar 16.) 75 
einc solche Vorlage eingebracht. Man kann aus solchen Situationen nicht 
anders herauskommen, als daß man sagt: Ich bin ein Esel gewesen. 
Stürmische Heiterkeit.) Diese Selbsterkenntnis fehlt den Nationalliberalen, 
die einen Sozialdemokraten gewählt haben. (Stürmischer Beifall.) Wir kommen 
aus den Parteischwierigkeiten nicht heraus, solange die verbündeten Re- 
gierungen nicht den Entschluß fassen, zu regieren. (Große Heiterkeit.) Wenn 
wir diesen Entschluß mit der nötigen Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit 
durchsetzen, dann wird das deutsche Volk der Regierung auch wieder einen 
Reichötag zur Verfügung stellen, mit dem sie regieren kann. (Lebhafte Zu- 
stimmung.) Das deutsche Volk lechzt nach einer starken Regierung, (stürmischer 
Beifall), und will nicht regiert sein von diesen wechselnden Parteibildungen.“ 
In der weiteren Verhandlung überbrachte Bürgermeister Eberle 
(Nossen) die Grüße des Reichsdeutschen Mittelstandverbandes, ein württem- 
bergischer Landwirt die des Landbundes von Württemberg. Ein bayerischer 
derichtete, daß dort der Bund 1000 neue Mitglieder gewonnen habe. Der 
Rittergutsbesitzer v. Bodelschwingh polemisierte gegen die Kampfesweise 
des Deutschen Bauernbundes. Hauptmann Pauli (Köln) begrüßte die Ver- 
sammlung im Namen von 15000 treuen Bündlern aus dem Rheinland. 
Er besprach dann die Verhältnisse in Elsaß-Lothringen. Schließlich sprach 
auch der Hofbesitzer Logemann aus Hannover gegen den Bauernbund, 
dessen Gelder von andern Leuten aufgebraucht würden und dessen Führer 
nicht wüßten, was sie wollten. Dieser Bund könne sich auf die Dauer nicht 
dalten. Im Zirkus Schumann hielt Dr. Oertel das Referat über die poli- 
tische Lage, worin er sich in ähnlichen Ausführungen erging wie der Redner 
des Zirkus Busch und insbesondere die Person des Kronprinzen als eines 
kernigen Soldaten in den Mittelpunkt seiner Erörterungen stellte. „Bravo, 
kaiserliche Hoheit" müsse man ihm zurufen. Der folgende Redner, Frhr. 
v. Vietinghoff, schloß seine Rede mit dem Wunsche, daß der Mann doch 
kommen möge, der das Eisen zu schmieden verstehe. 
16. Februar. (Bayern.) Besonders bemerkt wird ein Artikel 
der „Bayerischen Staatszeitung“ über die innere Lage des Reichs: 
„In der innern Politik des Reiches ist die im Interesse der un- 
gestörten Wirksamkeit der nationalen Kräfte erwünschte Ruhe allmählich 
wieder zurückgekehrt. Die vortrefflichen Worte, welche der Reichskanzler 
beim Mahl des Deutschen Landwirtschaftsrates sprach, werden dazu bei- 
miagen, diesen Gesundungsprozeß zu beschleunigen. Was der Reichskanzler 
über die Verkehrtheit einer gewissen Sorte von Partikularismus sagte, wird 
jeder in Deutschland, der den Reichsgedanken und seine Bedeutung für 
uniere innere Geschlossenheit richtig erfaßt hat, mit Genugtuung vernommen 
haben. Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung zu verzeichnen, der 
die Bewunderung und das Staunen des Auslandes erregt. Mit diesem 
Staunen ist aufs engste der Neid verbunden. Dieser Neid beobachtet mit 
gespannter Aufmerksamkeit die Symptome der Eigenbrödelei, wie sie in 
lungster Zeit im Norden des Reiches zu verzeichnen waren. Es mag sein, 
daß er sie überschätzt. Es wäre aber des Geschlechtes, das die Früchte der 
Tofer der Väter genießt, würdiger, jede Gelegenheit partikularistischer In- 
seklion sorgsam zu meiden. Mit Befriedigung kann das deutsche Volk auch 
den Stimmungsumschwung verzeichnen, der sich in den Reichslanden geltend 
macht. Die sympathische Art, mit der die neuen Männer sich in Straßburg 
einführten, läßt erwarten, daß die Ruhe, die in Elsaß Lothringen einkehrt, 
sich zu einer dauernden gestalten wird. Der erfreuliche, maßvolle Ton, den 
die reichsdeutsche Presse in der jüngsten Zeit anschlägt, scheint eine gewisse 
Bürgschaft für die Verwirklichung derariger Wünsche zu bieten. Notwendig
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.