Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

76 JNas Beutscze Reich und seine rinzelnen Glieder. (Februar 16.—19.) 
ist es aber, daß nunmehr auch die übrige deutsche Presse der weitern 
Entwicklung der Dinge in Elsaß-Lothringen Wohlwollen und Verständ- 
nis bezeigt und den aufrichtigen Willen bekundet, an der Befestigung 
des innern Friedens in den Reichslanden in Ruhe und Besonnenheit mit- 
zuarbeiten.“ 
16. Februar. Prinzessin Wilhelm von Baden f. Die Ver- 
storbene, Mutter des badischen Thronfolgers Prinzen Max, eine 
geborene Herzogin von Leuchtenberg, wurde 1841 geboren und ver- 
mählte sich 1863 mit dem badischen Prinzen Wilhelm, dem Bruder 
des verstorbenen Großherzogs Friedrich I. 
16. Februar. Major a. D. Endell, Vorsitzender des Bundes 
der Landwirte in der Provinz Posen, eine bekannte führende Per- 
sönlichkeit der ostmärkischen Agrarier, f. 
16. bis 19. Februar. (Deutscher Reichstag.) Verhand- 
lungen über den Reichsjustizetat. 
Die Generaldebatte beginnt Dr. Cohn-Nordhausen (Sd.) mit scharfer 
Kritik der Reichsjustizuverwaltung. Er bemängelt, daß nicht mehr Arbeiter 
als Schöffen und Geschworene hinzugezogen werden. „Jetzt, da die Arbeiter 
fast ausgeschlossen sind, kann man der Justizpflege nicht volles Vertrauen 
entgegenbringen. Der Entwurf, der die Konkurrenzklausel regeln soll, ist 
nicht genügend. Es muß überhaupt verboten sein, den Angestellten durch 
eine solche Rlausel zu binden. Der Entwurf des Jugendgerichtsgesetzes ruht 
noch immer beim Bundesrat, der sich auf seine Weise mit ihm beschäftigt, 
vielmehr nicht beschäftigt. Ueberhaupt arbeitet die Gesetzgebung auf dem 
Gebiet des Rechtes bei uns mit äußerster Langsamkeit. Freilich auf poli- 
tischem Gebiet ist das anders. Da hat die Regierung den Agrariern zu 
parieren und zu apportieren. Unser Strafrecht ist veraltet. Es beruht im 
wesentlichen auf dem alten preußischen Strafgesetzbuch, das längst überholt 
ist. Dabei soll die Reform nach den Worten des Staatssekretärs erst 1917 
kommen und der Reichskanzler faßte ihren Inhalt bei der ersten Lesung 
des Etats in einer MWeise zusammen, als sei beabsichtigt, die Ausnahme- 
gesetzgebung gegen die Arbeiterschaft zu verewigen. Die Arbeiterbewegung 
soll erdrosselt, die Ausbeutung geschützt werden, indem man die angeblichen 
Friedensstörungen der Hungernden unterdrückt. Man will das Koalitions- 
recht, die politische Freiheit der Arbeiter vernichten. Der Versuch kann 
nicht gelingen. Die organisierte Arbeiterschaft wird ihn mit allen ihr zu 
Gebote stehenden Mitteln zu verhindern wissen. (Sehr richtig! bei den Sd.) 
Der Schutz der Arbeitswilligen ist lediglich ein Kampf gegen die Arbeiter- 
schaft.“ Der Redner klagt über Klassenjustiz und fordert Reform der Polizei. 
„Die Fäulnis und Korruptionserscheinungen geben doch zu denken. Mit 
der Androhung der Fürsorgeerziehung wird besonders gegen Sozialdemokraten 
ein unerhörter Mißbrauch getrieben. Auch die Urteile unserer Gerichte 
lassen vielfach Unparteilichkeit gegen die Sozialdemokraten vermissen. Das 
Ansehen der Richter im Volke wird dadurch nicht gehoben. Erst eine grund- 
legende Aenderung unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse wird 
uns die wahre Gerechtigkeit bringen. Wir müssen dafür sorgen, daß die 
Richter durch freie Wahl aus den Volksgenossen gewählt werden.“ (Beifall 
bei den Sd.) Präsident Dr. Kaempf ruft den Redner nachträglich zur 
Ordnung, weil er erklärt hatte, falls der Reichstag aufgelöst werde, würde 
die Regierung schon irgend einen Wahlschwindel erfinden. Dr. Belzer (3.6
	        
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