Des Veische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 16.—19.) 79
sferner, daß häufig in Fällen, wo der Wahrheitsbeweis restlos erbracht wird,
das Gericht zu einer Verurteilung kommt, weil der Betreffende nicht die
Form gewahrt hat. Hier darf man doch nicht kleinlich und zimperlich sein.
Das trifft besonders für einen Fall zu, der sich in einem Vororte von
Berlin ereignet hat. Dort hat ein Beamter Einsicht in das Strafregister
genommen und hat eine Menge Menschen zur Verzweiflung gebracht. Wir
wollen, daß unser Volk in Rechtssachen klar sieht. Man darf auch nicht
vergessen, daß der Betreffende, dem sonst der Wahrheitsbeweis geglückt ist,
nur wegen Verstoßes gegen die Formalien die gesamten großen Kosten des
Trozesses zu tragen hat. Gegen böswillige Schuldner müssen die Gläubiger
geichtzt werden. Aber es müssen auch Mittel und Wege gefunden werden,
daß ein Schuldner, der seinen Verpflichtungen nachkommen will, nicht un-
nütz zugrunde gerichtet wird. Die Frage der Zulassung der Volksschul-
lehrer als Schöffen und Geschworene ist längst spruchreif, so daß hier endlich
vorgegangen werden kann. Die Beschwerden häufen sich darüber, daß unsere
Gerichte viel zu schwerfällig arbeiten. Hier muß darauf gesehen werden,
daß die Rechtspflege beschleunigt und vereinheitlicht wird. In erster Linie
ist zu erstreben, daß der Urteilstenor möglichst schnell bekanntgegeben wird.
Die bureaukratische Langsamkeit vereitelt hier oft den guten Zweck des
Gesetzes. Wenn dort eine Beschwerde empfohlen wird, so nützt diese auch
nichts in dieser Beziehung, da es zu lange dauert, bis über sie entschieden
wird. Ich bitte deshalb, unsere dahingehenden Vorschläge wohlwollend zu
vrüfen, da sie einem dringenden Bedürfnis entsprechen. Wie verhängnis-
voll die Verschleppung von Prozessen sein kann, das zeigen ja eine Reihe
von Vorkommnissen der letzten Zeit. Notwendig ist die Beseitigung der
Unsicherheit gegenüber Urteilen erster Instanz, die man vielfach nur als für
den Papierkorb wert erachtet. Gerade hier ist eine schnelle Erledigung
möglich, ganz besonders, wo über den Tatbestand an sich vollkommene
dlarheit herrscht. Gegen unseren Vorschlag könnte man ja konstitutionelle
Bedenken geltend machen. Aber wir wollen ja nur eingelne Richtlinien
jestlegen und die Ausführung dem Bundesrat überlassen. Auf jeden Fall
wollen wir, daß die Unzweideutigkeit des Rechts gewährleistet wird. Die
besten Gesetze erreichen ja nicht ihren Zweck, wenn sie in die Hände von
Versonen kommen, die ihrer Aufgabe nicht vollkommen gewachsen sind. Die
Klagen über das Forschen nach den Vorstrafen kann ich nur unterschreiben.
Im allgemeinen wird ja auf die Angeklagten jetzt schon mehr Rücksicht
genommen. Aber man muß doch bedenken, daß es sich bei den Angeklagten
um wehrlose Menschen handelt. Nicht für zulässig halte ich es, wenn zu
Beginn eines Prozesses regelmäßig die Zuschriften aus dem Publikum ver-
lesen werden. Das muß geradezu ermutigen, solche weiter einzusenden.
Ebenso überflüssig sind die Auseinandersetzungen mit der Presse. Wenn die
Verhandlungen etwas langweiliger werden dadurch, dann schadet das gar
nicht. Es muß doch unangenehm berühren, wenn in einem Mordprozeß
auf einmal die Bemerkung „Heiterkeit“ steht. Man hat den Eindruck, als
ob zu diesem Zweck manchmal bonmots angewandt werden. Der Richter
muß sich immer in die Seele der Leute versetzen, mit denen er verhandelt.
Denn erst kommt der Mensch und dann erst der Jurist.“
Abg. Dr. v. Laszewski (P.) verbreitet sich über die Reform der
Strafprozebordnung und des Strafgesetzbuches und beschwert sich über
die parteiische Handhabung der Gesetze in den polnischen Landesteilen im
Zufammenhange mit der Rechtsprechung.
« Am 17. Februar erwidert bei der Fortsetzung der Debatte Staats-
setretär Dr. Lisco folgendes: „Die verbündeten Regierungen haben für
das Reichsgericht drei neue Reichsgerichtsräte und einen neuen Reichsanwalt