Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

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Die Debatte wird nach dem Referat über die Verhandlungen der 
Kommission eröffnet durch den Abg. Noske (Sd.), der eine ganze Reihe 
von Beschwerden über die Marineverwaltung und die Verhältnisse in der 
deutschen Marine vorbringt. Er behandelt eine ganze Reihe von Fragen: 
die auswärtige Vertretung der Marine und deren Folgen für die Handels- 
beziehungen, die Rechtsprechung der Marinegerichte, die Stellung der Deck- 
of#giere und die soziale Stellung der Unteroffiziere, ferner angebliche tech- 
mische Mängel. namentlich in der Frage der Lieferungen, endlich das Thema 
der Abrüstungsfrage und angeblichen Kriegshetzereien einer vermeintlichen 
Militärpartei. 
Darauf erwidert Staatssekretär v. Tirpitz: „Einige Ausführungen 
des Vorredners veranlassen mich doch, sofort das Wort zu ergreifen. Zunächst 
mochte ich auf die Anregung des Referenten, daß wir die süddeutschen 
Firmen nach Möglichkeit berücksichtigen möchten, erwidern, daß wir zwischen 
deutschen Stämmen durchaus keinen Unterschied machen. Das Reichsmarine- 
amt geht davon aus, daß es bei uns keine Stämme in Deutschland gibt, 
sondern nur Deutsche. Von diesem Standpunkte aus handelt das Reichs- 
marineamt grundsätzlich bei der Vergebung von Lieferungen, indem sie diese 
gleichmäßig verteilt. Natürlich hat das eine Grenze insofern, als z. B. die 
schwere Eisenindustrie im Westen konzentriert ist. Aber Süddeutschland 
wird in der Weise berücksichtigt, daß Experten nach Süddeutschland geschickt 
werden, um in Verbindung mit den Handelskammern zu treten über eine 
starkere Beteiligung Süddeutschlands. Vielleicht läßt sich die Frage in der 
Beise regeln, daß Norddeutschland zwei Drittel, Süddeutschland ein Drittel 
der Lieferungen erhält. Was die Ausführungen des Abg. Noske betrifft, 
so hat er behauptet, daß die Vorgesetzten verhältnismäßig milde bestraft 
würden und die Gemeinen sehr hart, zu hart. Ich muß dem entschieden 
widersprechen. Wir verfahren nach dem Strafgesetzbuch. Bei den Fällen, 
die er angeführt hat, handelt es sich nach militärischer Auffassung um schwere 
militärische Berbrechen. Dann sprach er davon, daß die Stimmung in der 
Flotte eine sehr schlechte wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Gewiß ist der 
Dienst hart, aber ganz gewiß nicht härter für den Mann als für die 
Offziere. Die Gemeinen dienen drei Jahre, die Offiziere müssen durch- 
dalten. Es herrscht in dieser Beziehung nicht nur Gleichheit, sondern die 
Cinziere sind besonders stark, sehr viel stärker belastet als die Gemeinen. 
Es ist nun behauptet worden, daß die Mißhandlungen außerordentlich zu- 
genommen hätten. Tatsächlich haben die Mißhandlungen beständig ab- 
genommen. Im Jahre 1909 kamen auf 10000 Mann 3,9 Fälle und 1912 
nur 3,4 Fälle. Dann hat der Abg. Noske einen Fall aus Kiel mitgeteilt, 
wo beim Besuch Seiner Majestät des Kaisers die Unteroffiziersfrauen die 
Fenster geöffnet hätten und dann ihre Männer bestraft worden seien. Zu- 
nöchst stelle ich fest, daß ein Unterschied zwischen Offizieren und Unter- 
ofhzieren nicht gemacht wird. Es besteht allerdings ein Kasernementsbefehl, 
wonach in solchen Fällen wegen des Geräusches die Fenster nicht geöffnet 
werden dürfen. Daraufhin sind die beiden Leute, ein Unteroffizier und ein 
Feldwebel, bestraft worden. (Zuruf bei den Sd.) Wollen Sie gütigst ab- 
warten. Nachdem die Betreffenden bestraft waren, wurde dies Seiner 
Majestät gemeldet und Seine Majestät hat die Strafe aufgehoben. (Lachen 
bei den Sd.) Der betreffende Vorgesetzte hat nach seinen Vorschriften ge- 
bandelt. Der Abg. Noske hat sich dann über die Unglücksfälle in der 
Marine ausgelassen. Ich kann nur sagen, daß alles mögliche getan worden 
ist, um solche Unfälle zu vermeiden. Herr Noske hat dann ausgeführt, wir 
hätten den „L 1“ zu frühzeitig nach Helgoland geschickt, und die Leute 
wären nicht genügend ausgebildet gewesen. Das hat sich nach genauer
	        
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