Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Des Vetssche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 21. 107 
auch weiterer Erleichterungen in dieser Beziehung hinauszugehen, soweit 
dies ohne Gefährdung der Manneszucht irgend möglich war. Unter Be- 
achtung dieses in dem vorliegenden Fall maßgebenden Gesichtspunktes glaubt 
die Heeresverwaltung mit dem Gesetzentwurf an der jetzt zulässigen Grenze 
angekommen zu sein. Aber auch andere Umstände verhindern zurzeit eine 
vollige Neubearbeitung des Militärstrafgesetzbuches. Die Neubearbeitung 
steht, wie hier im Hause oft betont und oft auch anerkannt worden ist, 
und wie eine erneute sehr sorgsame Prüfung unwiderleglich bewiesen hat, 
in so enger Beziehung und so enger Abhängigkeit zu der zukünftigen Ge- 
stalung des neuen bürgerlichen Strafgesetzbuches, daß weitere Schritte 
nicht unternommen werden können, ehe nicht die endgültige Fassung dieses 
seststeht. Um so dankbarer würde ich es empfinden, wenn das hohe Haus 
sich entschließen könnte, alle weitergehenden Forderungen und Wünsche zurzeit 
zurüuckzustellen und dem Regierungsentwurfe zuzustimmen, damit er den- 
jenigen, die würdig sind, recht bald zugute kommen könnte.“ (Lebhafter 
Beifall.) 
Abg. Dr. Frank-Mannheim (Sd.): „Diese Vorlage hat bei ihrem 
Erscheinen ziemlich großes Aufsehen erregt, sie kam unerwartet. Die Vor- 
lage vom vorigen Jahre war der Regierung aus Anlaß der Erfurter Affäre 
aufgezwungen. Es wurde nun verbreitet, daß die Regierung mit dem vor- 
liegenden Gesetzentwurf gut Wetter für eine Reichstagsauflösung machen 
wolle. Zu diesem Zwecke ist die Vorlage sehr geeignet; sie bringt einige 
unwesentliche Erleichterungen und weitgehende Verschlechterungen des jetzigen 
Zustandes.“ Der Redner geht sodann auf verschiedene Einzelheiten der Vor- 
lage ein, was zu einer Geschäftsordnungsdebatte über die Zulässigkeit der 
Erôrterung von Einzelheiten führt. Abg. Dr. van Calker (Nl.) stellt fest, 
daß die Tendenz der Vorlage durchaus den Wünschen seiner Parteifreunde 
entspricht, sie seien ja für weitere Reformen; er meine aber, man solle den 
Entwurf nicht mit weiteren Reformwünschen bepacken. Abg. Dr. Müller- 
Meiningen erkennt den Fortschritt des Entwurfs an, wünscht aber in 
verschiedenen Punkten weiter zu gehen und fordert vor allem Abschaffung 
des strengen Arrestes. Abg. Graf v. Westarp (Dk.) hegt vom Standpunkt 
der Disziplin und der Rechte der Kommandogewalt verschiedene Bedenken 
und verwahrt sich jedenfalls dagegen, daß das Militärstrafgesetzbuch all- 
gemein umgestaltet wird. Er äußert seine Befriedigung über die Erklärung 
des Kriegsministers, daß eine weitere Bepackung der Vorlage das Gesetz 
für die verbündeten Regierungen unannehmbar machen würde. Abg. Fehren- 
bach (Z.) wünscht den Anlaß der Vorlage nicht zu benutzen zu einer wei- 
teren radikalen Umgestaltung des Militärstrafgesetzbuches. Die schwere 
Svrafe des strengen Arrestes wollen wir nur als Disziplinarstrafe beseitigt 
wissen; über die Frage, ob sie als Strafe überhaupt aufzuheben wäre, wird 
sich in der Kommission reden lassen. Die Stellung der Mannschaften des 
Beurlaubtenstandes unter die Militärstrafgesetze bei den Kontrollversamm- 
lungen während des ganzen Tages sollte auch den Gegenstand der Er- 
orkerung der Kommission bilden. 
Abg. Noske (Sd.): Im Interesse des deutschen Volkes und seiner 
zahlreichen dienenden Söhne muß es außerordentlich bedauert werden, daß 
die Vertreter aller bürgerlichen Parteien die außerordentlich minimalen 
Zugeständnisse dieser Vorlage als einen Fortschritt preisen. Das kann nur 
eine Ermunterung für die Regierung sein, an dieser Politik der Bockbeinig- 
keit festzuhalten. Präsident Dr. Kaempf: Ich muß diesen Ausdruck als 
unzulässig rügen und rufe den Redner zur Ordnung. Abg. Noske (Sd., 
unter großer Unruhe fortfahrend): Das muß auch den Gegnern jedes poli- 
tischen Fortschritts in Deutschland Mut machen, wie die Rede des Grafen
	        
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