Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

118 Dne DOruische Reich und seine einzelnen Glieder. (März 7.— 10.) 
aufeinanderplatzen. Es ist nun in einem Teile der Presse gerügt worden, 
daß ich auf meiner Reise in Kamerun gewissen Klassen unverblümt die 
Wahrheit gesagt habe. Ich glaube, die Mitglieder des Hauses werden es 
Wort für Wort unterschreiben, wenn ich mein Bedauern über die dortigen 
Zustände, daß Kinder von den Eltern getrennt sind usw., ausgesprochen 
habe. Wenn ich nun auch diese Mißstände zugegeben habe, so kann ich 
doch nicht sagen, daß man von einer Entvölkerung sprechen kann. Es sind 
ja die Bevölkerungsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika sehr schwer zu beurteilen. 
MWir haben dort keine Standesamtsregister, eine Volkszählung für das ge- 
samte Schutzgebiet Ostafrikas ist noch nicht da. Was ich von Deutsch-Ost- 
afrikanern gehört habe, zeigt nicht, daß in Ostafrika in irgendeinem Distrikt 
ein Bevölkerungsnachlaß nachgewiesen ist. Für die Entvölkerung oder die 
geringe Bevölkerung ist eine Reihe von Ursachen maßgebend. Diese Urfache 
möglichst genau zu ermitteln, wird die Aufgabe des Gouverneurs sein. In 
einzelnen Bezirken zeigt sich sogar eine Zunahme der Bevölkerung. Trotz- 
dem ist nicht zu leugnen, daß in einzelnen Ortschaften eine größere Ent- 
völkerung sich zeigt. Dafür können aber die Weißen nicht ohne weiteres 
verantwortlich gemacht werden, sondern es ist zu prüfen, ob die Ein- 
geborenen selbst nicht schuld daran sind. Es müssen die Unsitten und Laster 
der Eingeborenen in Betracht gezogen werden als die eigentlichen Ursachen 
der sogenannten Entvölkerung. Nun zu dem sehr bestrittenen Thema der 
Haussklaverei. Ich habe von der Denkschrift des Gouverneurs Schnee nicht 
den Eindruck gehabt, wie einige Redner dieses Hauses. An sich steht er 
auf dem Standpunkt Ihrer Resolution. Der Unterschied betrifft nur das 
Tempo der Beseitigung der Haussklaverei. Es ist nicht richtig, daß der 
Gonverneur Schnee die Haussklaverei irgendwie etwa fördern wolle oder 
sie verewigen wolle. Er sagt ja selbst in seiner Denkschrift, daß die Ver- 
waltung sich angelegen sein lassen werde, nach Möglichkeit ein schnelleres 
Tempo in der Hörigenbefreiung herbeizuführen, als es bisher der Fall ge- 
wesen ist. Ich kann dem, was der Abg. Erzberger über den Zeitpunkt der 
Befreiung gesagt hat, nicht zustimmen. Die Beweislast darüber, ob jemand 
ein Höriger ist, liegt doch bei den Herren. Wenn dieser nicht nachweist, 
daß der Neger ein Sklave ist, so wird dieser freigesprochen. Es würde sich 
im ganzen nur um einen Unterschied von 10 Jahren in der Durchführung 
der Befreiung handeln. Dann ist auch ferner zu berücksichtigen, daß die 
Sklaven tatsächlich nicht so sehr schlecht behandelt werden. Ich kann Ihnen 
hier eine kleine Geschichte erzählen, die zeigt, wie harmlos man dort im 
Lande das Sklavereiverhältnis auffaßt. Als der Hauptmann einem Sklaven 
milteilte, sein Herr hätte ihm die Freiheit gegeben, da dankte der Frei- 
gelassene nicht etwa freudig, sondern er sagie, für so schlecht hätte ich 
meinen Herrn doch nicht gehalten. Große Heiterkeit.) Die Erfahrungen in 
Sansibar haben geseigt, daß, als den Sklaven die Freiheit gegeben wurde, 
sie heimatlos herumstreiften und die Kriminalität wuchs. Die RNriminalität 
sank, als mit den Freigelassenen neue Arbeitsvertrage geschlossen wurden. 
Das sollte uns zu denken geben. Der Abg. Dittmann hat am Sonnabend 
den Jesuitenstaat Paraguay als einen sozialdemokratischen Musterstaat be- 
zeichnet. Daß dieser Staat ein sozialer Staat ist, gebe ich ohne weiteres zu. 
Aber daß er ein sozialdemokratischer ist, davon kann keine Rede sein. Ich 
verweise auf die sehr interessante Literatur, insbesondere auf die Schrift 
des Heidelberger Professors Gothein. Danach kann man diesen Staat als 
eine Konföderation mit theokratisch-patriarchalischer Verfassung bezeichnen, 
aber doch nicht als sozialdemokratischen Zukunftsstaat. (Heiterkeit.) Wie den 
Vorrednern, so ist auch mir persönlich Pater Bauer eine hochsympathische 
Persönlichkeit gewesen; er hat sich durch seine Missionstätigkeit weit über
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.