Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

144 Das NVeutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (März 19.—21.) 
der Militär-- und Polizeikosten von den Kolonien selbst zu tragen ist. 
Wir glauben aber, daß, wenn die Diamanteneinnahmen sich in einer solchen 
günstigen Weise weiter entwickeln, diese Relation von 2:1 nicht mehr bei- 
behalten werden kann, sondern es muß ein für das Reich günstigeres Ver- 
hältnis geschaffen werden. Auch wir sind damit einverstanden, daß die 
Schutzgebiete weiter wirtschaftlich erschlossen werden, insbesondere stimmen 
wir dem Bau einer Bahn nach dem Ovambolande zu. Wir hatten aller- 
dings erst Bedenken, das Ovamboland durch eine Bahn wirtschaftlich zu 
erschließen. Aber diese Bedenken haben sich beseitigen lassen. Wir sind also 
keine Feinde des Bahnbaues, aber wir müssen uns doch einmal die Frage 
vorlegen, wer von diesem am meisten Vorteil hat. Das sind die Konzessions- 
gesellschaften, die riesige Verdienste einstecken, ohne daß das Reich davon. 
elwas hat. Man hat seinerzeit das ganze Gebiet direkt an vier oder fünf 
Gesellschaften verschenkt. Die Landkommission hat ja manches erreicht, aber 
die wirtschaftliche Freiheit für Südwestafrika ist leider nicht erreicht worden. 
Für die Ansiedlung ist genügend Land, auch zu angemessenen Preisen, zur 
Verfügung. Aber in bezug auf die Bergrechte besteht ein direkt trauriger 
Zustand. Im Norden liegen die größten Naturschätze und es ist fast un- 
möglich, an ihre Erschließung heranzugehen. Deshalb verlangt ja auch die 
Kommission die sachgemäße Erschließung des Nordens. Der Staatssekretär 
wird den starken Mann spielen müssen. Aber mit ein klein wenig Mut 
kann viel wieder für die Kolonien gutgemacht werden. Ich würde gegen 
die Konzessionsgesellschaften an sich nichts haben, wenn sie nur etwas für 
die Erschließung des Landes täten. Einiges wieder gutmachen kann auch 
eine progressive Einkommen- und Vermögenssteuer. Es ist ja bekannt, daß 
in Südwestafrika überhaupt keine Einkommensteuern gezahlt werden. Ich 
hoffe, daß die Regierung uns im nächsten Jahre mit entsprechenden Vor- 
schlägen in dieser Richtung kommt.“ Staatssekretär Dr. Solf: „Der Prä- 
sident hat mir das Stenogramm der Rede des Abg. Hoch gegeben und hat 
mich darauf aufmerksam gemacht, daß der Passus, den ich als eine Ver- 
leumdung aufgefaßt habe, in hypothelischer Form getan worden sei. Ich 
hatte aber aus der Rede den Eindruck, und ich konnte ihn wohl haben, 
daß er positiv gemeint sei. Da aber hier nur der objektive Tatbestand 
maßgebend ist, kann ich das Wort Verleumdung nicht aufrechterhalten." 
Abg. Waldstein (Fortschr. Vp.): „Wir haben die Diamantenregie geschaffen, 
weil weder die Budgetkommission noch das Plenum des Reichstags das 
geeignete Forum ist, um über den Diamantenhandel zu urteilen. Die 
Bankherren haben eine durchaus uneigennützige Tätigkeit entfaltet. Wer 
den Verdacht der Unlauterkeit zu erwecken sucht, der verletzt ein Reichs- 
interesse. Die Verwaltung hat die Diamantenregie praktisch außer Funktion 
gesetzt und sich zum Herrn erklärt. Damit ist sie weiter gegangen, als sie 
gesetzlich berechtigt war. Das hat Mißstimmung erregt. Die Diamanten 
werden das Rückgrat des Etats für Südwest nicht immer bleiben. Scheidet 
man die Diamanten aber aus, dann ist der Etat durchaus nicht sehr er- 
freulich. Wir haben in Südwest das möglichste getan. Wir erwarten aber 
auch Anerkennung von den Herren aus Südwest. Daran hat es bisher 
sehr gefehlt. Wer bezahlt die Schutztruppe? Die Budgetkommission will, 
daß das Reich zwei Drittel und das Schutzgebiet ein Drittel der Kosten 
tragen soll. Dem Bau der Ovambobahn stimmen wir durchaus zu, im 
Interesse der Kolonialwirtschaft, aber auch im Interesse der Arbeiter. Die 
Konzessionsgesellschaften sollen zu den Bahnkosten herangezogen werden. 
Das ist nur möglich, wenn die Verträge der Gesellschaften dem nicht entgegen- 
stehen. Darum scheint es sich hier aber nicht zu handeln. Das rechtliche 
Verhältnis zwischen Mutterland und Schutzgebiet ist immer noch sehr unklar.
	        
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