Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Vas Dentsche Reich und seine einzeluen Glieder. (April 27.) 203 
Kenntnis gekommen ist; denn ich sehe nicht ein, wie sich die Verhältnisse, 
die damals für die Stellungnahme der Regierung bestimmend gewesen sind, 
seildem geändert haben. Ich sehe auch nicht ein, welcher äußere Anlaß 
gegeben ist, um jetzt mit diesem Antrage von neuem hervorzutreten. Mein 
Amtsvorgänger hat damals hier ausgeführt, daß die Regierung den Wünschen 
der katholischen Orden auf Niederlassungen im preußischen Staatsgebiete, 
namentlich dann, wenn es sich um Orden handelt, die der Krankenpflege 
sich widmen, in weitestem Maße entgegenkommt; er hat hinzugefügt, daß 
die Katholiken versichert sein können, daß demgemäß auch in Zukunft ver- 
fahren wird. Diese Zusage ist in vollem Maße eingelöst worden. Mein 
Amtsvorgänger konnte damals mitteilen, daß 1902 19000 Persönlichkeiten 
der Krankenpflege in den katholischen Orden zur Verfügung standen; für 
heute kann ich nichts sagen, soweit liegt mir die Statistik noch nicht vor, 
aber am 31. Dezember 1913 bestanden in Preußen 2508 Niederlassungen 
mit 36843 Mitgliedern. In der Krankenpflege hauptsächlich beschäftigt 
waren 20 337 Mitglieder in 1989 Niederlassungen; mit der übrigen chari- 
tativen Tätigkeit als Haupttätigkeit sind damals beschäftigt gewesen 5046 Mit- 
glieder in 360 Niederlassungen, insgesamt haben sich also 31293 Mitglieder 
in 2319 Niederlassungen der charitativen Tätigkeit gewidmet. Ich kann also 
wohl behaupten, daß die damaligen Zusicherungen in vollem Maße erfüllt 
sind. Die Gründe, die damals für die ablehnende Stellung der Regierung 
mitgeteilt wurden, will ich nicht im einzelnen vorführen, auch nicht darauf 
zurückgreifen, daß in den achtziger Jahren eine abschließende Gesetzgebung 
auf Grund von Vereinbarungen stattgefunden hat, an der man zweckmäßiger- 
weise festhalten soll; hervorheben aber möchte ich die große grundsätzliche 
Bedeutung dieser Frage für das Verhältnis des Staates zur katholischen 
Kirche. Ich weiß ja, wie sehr unseren katholischen Mitbürgern die Orden und 
deren Mitglieder am Herzen liegen, wie sie mit Liebe und Bewunderung 
auf diese Männer und diese Frauen blicken, die sich in hingebender christ- 
licher Nächstenliebe für das Wohl der Armen und Kranken aufopfern und 
dafür ihr Leben hingeben. Das sind Gefühle, die man vollständig begreifen 
muß und die man in gewissem Grade auch teilen kann, wenn man nicht 
Kotholik ist: es ist auch begreiflich, daß die Katholiken sehr empfindlich auf 
diesem Gebiete sind und daß sie nicht dulden wollen, daß die Orden und 
ihre Mitglieder irgendwie weniger gut behandelt werden als andere Staats- 
bürger, daß sie wünschen, daß hier Licht und Schatten gleichmäßig verteilt 
wird. Das ist ja auch der Untergrund des Antrages. Aus ihm springt 
hervor der Vorwurf, als wenn eine solche gleichmäßige Behandlung der 
Dinge tatsächlich nicht stattfände. Ich begreife auch diese Empfindung, aber 
wenn Sie den Dingen kühl und nüchtern sich gegenüberstellen und sie prüfen, 
so werden Sie doch zu einer anderen Auffassung gelangen. Sie verlangen 
in dem Antrage, daß Krankenpflege und werktätige Nächstenliebe betreibende 
katholische Orden ebenso gestellt werden, wie andere Vereinigungen, die sich 
der Krankenpflege widmen. Die katholischen Orden lassen sich ohne weiteres 
mit anderen Vereinen nicht vergleichen. Sie könnten mit Recht über Mangel 
an Parität klagen, wenn irgendwelche beschränkenden Bestimmungen dafür 
beständen, daß Katholiken sich ebenso zu Vereinen zusammenschließen, um 
der Krankenpflege sich zu widmen, wie andere Staatsbürger; eine solche 
Beschränkung besteht selbstverständlich nicht. Auch sie können sich zu freien 
Vereinigungen vereinigen, wie jeder andere Staatsbürger; aber deshalb 
können Sie die freien Vereinigungen nicht in Vergleich stellen mit den 
katholischen Orden. Nun wird gewöhnlich hingewiesen auf die evangelischen 
Diakonissen, die würden doch ganz anders behandelt, wie die Katholiken. 
Ja, auch die Diakonissen lassen sich ohne weiteres mit den katholischen Orden
	        
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