Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

206 D Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 28.) 
erzwingen. Der Minister hat derartige Aeußerungen strikt in Abrede ge- 
stellt, und das Kommissionsprotokoll enthält keine solchen Aeußerungen. 
Weitere Erörterungen hat der Fall Poliakow hervorgerufen, in dem auf 
deutscher Seite ein Versehen, zwar keine Gesetzwidrigkeit, aber eine zu lang- 
same Behandlung der Sache vorgelegen habe. Die deutsche Regierung habe 
keinen Anstand genommen, der russischen Regierung ihr Bedauern aus- 
zusprechen. Anders liegt der Fall Berliner, auf den der Staatssekretär 
kurz einging. Ein auf den Uebereifer eines Gastwirts zurückzuführender 
Mißgriff unerheblicher Art sei gegen einen russischen Untertan in Breslau 
vorgekommen, der für einen Spion gehalten wurde; er wurde auf die An- 
zeige hin von der Polizei lediglich ersucht, sich zu legitimieren, und konnte 
nach kurzer Zeit das Polizeibureau wieder verlassen. In der Frage des 
Postpaketverkehrs nach Persien hat unser Protest in Petersburg Erfolg ge- 
habt. Hinsichtlich der bevorstehenden Einführung von Mehl= und Getreide- 
zöllen in Rußland gibt unser Handelsvertrag keine Handhabe zum Ein- 
spruch. Bei den finnischen Zöllen ließe sich vielleicht der Sinn, wenn auch 
kaum der Wortlaut des Vertrages geltend machen. Die deutschen Argu- 
mente sind in Petersburg zur Sprache gebracht worden. Rußland hat jedoch 
nach Prüfung derselben erwidert, daß es sich zur Einführung der Zolle 
für berechtigt halte. Der Staatssekretär teilte weiter mit, daß die Behaup- 
tungen, die russischen Behörden hätten ein Verbot erlassen, wonach seitens 
der Regierung künftig keine Lieferungen mehr nach Deutschland vergeben 
werden sollten, von der russischen Regierung bestimmt in Abrede gestellt 
werden. Zusammenfassend erklärte der Slaatssekretär, daß die russicche 
wie die deutsche Regierung die alten freundnachbarlichen Beziehungen 
aufrecht erhalten wollen und daß zu hoffen ist, daß trotz einer nicht zu 
verkennenden Unterströmung und der vorgekommenen Auseinandersetzungen 
in Oeffentlichkeit und Presse das alte Verhältnis aufrecht erhalten bleiben 
werde. 
Hinsichtlich Albaniens hoffe die deutsche Regierung, daß der Fürst 
seine Aufgabe mit Erfolg durchführen und daß Land und Volk prosperieren 
werden. Nach den Maßnahmen, die von der griechischen Regierung nach 
der Uebergabe der Note der Mächte eingeleitet seien, bestehe Aussicht, daß 
auch der Aufstand in Cpirus bald abflauen werde. Zur Organisierung des 
Landes werde der albanischen Regierung eine Anleihe von 75 Millionen 
Franken garantiert werden. Ebenso übernehmen die Mächte die Garantie 
für eine Anleihe von 10 Millionen Franken für Montenegro. Hier wie 
dort würden sich die Mächte eine Kontrolle über die produktive Verwen- 
dung des Geldes sichern. Dem Reichstag werde darüber nach Abschluß der 
Verhandlungen eine Vorlage zugehen. Die Regelung der deutschen diplo- 
matischen Vertretung in Albanien soll derart erfolgen, daß ein General- 
konful zugleich als diplomatischer Agent ernannt wird. 
Der Staatssekretär bemerkte dann noch, daß über die Cap—Cairo- 
bahn keine Verhandlungen mit England schwebten, und machte vertrauliche 
Angaben über den Stand der Verhandlungen über die asiatischen Inter- 
essen und über die armenischen Reformen. Der deutsch-türkische Handels- 
vertrag wird in diesen Tagen um ein Jahr verlängert werden. Die Ver- 
öffentlichung der vielerörterten Potsdamer Rede des Rönigs von Griechen- 
land sei mit Zustimmung beider Sonveräne erfolgt. Die Ansprache habe 
lediglich militärischen Charakter gehabt und sei eine wertvolle Genugtuung 
nach den vielen Angriffen auf die deutsche Armee gewesen. 
28. April. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Bei 
weiterer Beratung des Kultusetats kommt es zu einer neuen scharfen
	        
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