Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

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Abgeordnete gemeint hat, ich hätte mit Scherzworten über das gesprochen, 
was neulich der Abgeordnete Dombek gesagt habe, es seien Schwierigkeiten 
den Eltern in den Weg gelegt worden, die ihre Söhne im Lazarett be- 
suchen wollten, so bedauere ich, daß meine Worte so aufgefaßt worden sind. 
Von einem Scherz war bei mir keine Rede. Dann ist heute wieder von 
dem Grafen Westarp, gestern von dem Abg. Stücklen und früher von ver- 
schiedenen Rednern aus dem Hause, u. a. von dem Abg. Ledebour, wenn 
ich mich recht erinnere, die Frage der Miliz gestreift worden. Von seiten 
der Sozialdemokraten wird uns empfohlen, unser Wehrsystem mehr miliz- 
artig auszubauen. Nun beruht ja unsere deutsche Wehrverfassung auf dem 
Hauptmerkmal der Miliz, nämlich darauf, daß jeder waffenfähige Mann 
auch waffenpflichtig ist zur Verteidigung des Vaterlandes. Wenn in dieser 
Beziehung das Ideal nicht erreicht wird, so liegt das an den Einschrän- 
kungen, die durch die gesetzgebenden Körperschaften der Heeresverwaltung 
auferlegt werden müssen. Wir haben also eigentlich eine Miliz, freilich 
eine Miliz, die unseren Verhältnissen angepaßt ist. Wenn die Herren uns 
immer raten, wir möchten unsere Heeresverfassung im Sinne der Miliz 
ausbauen, so haben sie sich einfach das Milizideal aus dem Auslande ge- 
holt, das natürlich den dortigen Verhältnissen angepaßt ist, z. B. die Schweizer 
Miliz, und das sollen wir akzeptieren. So unterscheidet sich die Schweizer 
Wehrverfassung von der deutschen Wehrverfassung wesentlich dadurch, daß 
die Leute nicht längere Zeit hintereinander bei der Fahne gehalten werden, 
sondern daß versucht wird, sie in kürzeren und häufiger wiederholten Uebungs- 
kursen auszubilden. Und zweitens dadurch, daß im Frieden verschwindend 
geringe Friedenskaders für die Truppen in erster Linie bestehen. Ich will 
damit nicht irgendwie Kritik üben an der Schweizer Verfassung, aber die 
Folge ist für jeden Sachverständigen, daß der Uebergang aus dem Friedens- 
in den Kriegszustand, die Mobilisierung, langsamer erfolgen muß, sehr viel 
langsamer als bei unserem System und bei dem System unserer Nachbarn, 
mit denen wir doch möglicherweise in einen Krieg verwickelt werden können, 
und die zweite Folge ist, daß eine Truppe, die durch ein derartiges System 
ausgebildet ist, auf Grund eines derartigen Systems nicht so geeignet ist, 
schnell zu entscheidenden Schlägen im feindlichen Lande zu stehen, wie eine 
Truppe, die in unserem System ausgebildet ist und in dem System der 
vorhin erwähnten Nachbarn. Trotzdem behaupten die Herren von der 
äußersten Linken, wir könnten dieses Schweizer System annehmen. Sie 
behaupten es, obgleich ihnen ebensowenig unbekannt sein kann, wie sonst 
irgend jemand, daß die Wehrverfassung eines Volkes angepaßt sein muß 
dem Charakter des Volkes und des Landes, in dem das Volk wohnt, und 
daß das Schweizer Volk, wie das Schweizer Land ganz verschieden sind 
in dieser Beziehung von uns. Sie behaupten es, obgleich sie ganz genau 
so gut wissen, wie nur sonst irgend jemand, daß Deutschland infolge seiner 
militärischen, geographischen, politischen und auch wirtschaftlichen Lage un- 
bedingt gezwungen ist, jeden ihm aufgezwungenen Krieg mit blitzschneller 
Sßenstoc zu führen, und noch Truppen haben muß, die auch Rückschläge 
ertragen können. Sie behaupten es endlich, trotzdem ich glaube, daß schon 
von dieser Stelle aus darauf hingewiesen worden ist, daß irgendwelche 
finanzielle Erleichterungen durch den Uebergang zu diesem System bei uns 
in Deutschland nicht zu erhoffen sind, sondern im Gegenteil Erschwerungen. 
Hiernach könnten eigentlich die Befürworter dieses Ueberganges nicht im 
geringsten im Zweifel sein, daß ein solches Experiment für Deutschland un- 
heilvoll wäre. Wenn sie es trotzdem empfehlen, so können sie es nicht aus 
militärischen Gründen tun, sondern nur aus politischen Gründen, denn ein 
Politiker im reinen Sinne, d. h. einer, der das Ganze des Vaterlandes im 
 
	        
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