256 Bas Beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.—13.)
infolge der gegenseitigen Besuche der Stiftungsfeste die Turnvereine den
ganzen Sommer auf der Landstraße liegen, ist jedenfalls eine gering-
schätzende Aeußerung. Solche Anschauungen sind Zeichen einer schon lange
vorhandenen ernsten Spannung. Die Kundgebung in der Budgetkommission
hat die Situation beleuchtet, wie der Blitz die Nacht. Schon vor zwei
Jahren erhielt ich die Mitteilung aus dem Westen, daß die mit den kon-
fessionellen Vereinen verbundenen neuen Turnvereine eifrig an der Arbeit
seien, den alten Turnvereinen das Wasser abzugraben. In meiner Fraktion
ist angeregt worden, ob die Fortbildungsschule nicht mehr in den Dienst
der Zugendpflege zu stellen sei, da sie politisch wie religiös neutral sei und
strenge Schulzucht in ihr herrsche. Das könne aber nur in der Weise ge-
schehen, daß an den jetzt geschaffenen Organisationen nicht gerüttelt würde.
Der bisherige Entwicklungsgang der Jugendpflege ist sehr glücklich, aber sie
konnte durch die Fortbildungsschule noch eine sehr wesentliche Förderung
erfahren. Die Fortbildungsschüler könnten herangezogen werden, soweit sie
nicht bei anderen Jugendpflegebestrebungen bereits beteiligt sind. Ich kann
gewisse Besorgnisse nicht ganz zurückstellen, die aber hoffentlich reparabel
sein werden. Ich bitte den Minister, den verschiedenen Strömungen seine
Beachtung zuzuwenden.“ Abg. Graf Moltke (Frk.): „Wie sah es in unserer
Jugend mit dem aus, was wir heute Jugendpflege nennen? Das war
nichts weiter als ein kleiner Turnunterricht; der Lehrer war meist ein
wohlbeleibter Herr, dem der Turnunterricht nicht gerade Vergnügen be-
reitete. Aber schon damals gab es Menschen mit offenen Augen, klarem
Sinn und warmem Herzen, die den Wert der Zugendpflege erkannten.
Damals ist der Grund der heutigen Jugendpflege gelegt worden. Ich danke
den Männern, die sich früher in den Dienst dieser Sache gestellt haben.
Wir müssen aber auch die heutige Jugendpflege vor Schäden bewahren.
Vor allem muß sich die Jugend vom Antisemitismus fernhalten; denn was
hat die Jugendbewegung mit dem Antisemitismus zu tun? Man kann es
verstehen, wenn die Jugend die Sonntage benutzt, ihre Ausflüge in die
freie Natur zu machen. Aber ebensogut kann man verstehen, wenn die-
jenigen, die auf die religiöse Erziehung den größten Wert legen, damit
nicht einverstanden sind. Die Hauptsache ist und bleibt jedoch immer, daß
etwas wirklich Großes geschaffen wird, und es ist wichtig, daß alle die-
jenigen, die es können und wollen, sich in den Dienst dieser Sache stellen.
Es werden aber erhöhte Mittel erforderlich sein, da die Jugendpflege die
größte Fürsorge verdient. Die Lesehallen für die Jugendlichen im Alter von
11—18 Jahren in den größeren Slädten sind von der größten Wichtigkeit.
Ich bitte den Minister, ihnen seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Die Auswahl des Lesestoffes muß besonders sorgfältig sein; sie muß dem
Bedürfnis der Zugend entsprechen.“ Abg. Kanzow Fortschr. Vp.): „Auch
ich möchte der Männer gedenken, die früher schon, als der Staat auf diesem
Gebiete noch schlummerte, auf die Notwendigkeit der Jugendpflege hin-
gewiesen haben. Wir danken auch dem Ruliusminister, daß er diesen Ge-
danken ausgenommen hat. Wir wollen, daß die Jugend körperlich mehr
gefestigt und von vaterländischem Geiste getragen, aber auch von sozialem
Geiste erfüllt ist, und daß in der Ingend sich das Verantwortungsgefühl
entwickelt, das der reife Mann im Leben haben muß. Wir wünschen vor
allem, daß die Gegensätze, die in unserem Slaate leider stark vorhanden
sind, ausgeglichen werden. Ich stimme dem Redner des Zentrums nicht
bei, wenn er betonte, daß die Hauptsache die konfessionellen Verbände seien.
Ich mochte ihn auf den verstorbenen Kardinal Kopp hinweisen, der seinen
Geistlichen ausdrücklich emvpfohlen hat, der katholischen Jugend die Be-
tetligung an interkonfessionellen Vereinen zu gestatten. Auf diesem Gebiete