Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

DVas Veesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.— 13.) 257 
sollte die weitestgehende Toleranz geübt werden. Eine Anlehnung der 
Jugendvereine an die Fortbildungsschulen halte ich auch für wünschens- 
wert. Es ist aber zu bedenken, ob dies in großem Umfange möglich sein 
wird. Wir alle sind einig darin, daß wir für die Jugend kämpfen wollen, 
aber nicht um die Zugend. Darum verurteilen wir auch jedes Hineintragen 
politischer Tendenzen in die Zugendbewegung und bekämpfen die von sozial- 
demokratischer Seite seit einigen Jahren betriebenen Jugendorganisationen. 
Auch unter den Sozialdemokraten gibt es bedeutende Männer, die ver- 
ständigerweise gesagt haben, in die Jugend gehöre keine Parteipolitik. Auf 
dem Parteitage zu Mannheim 1906 wurden die Jugendorganisationen ge- 
gründet. Auf dem Parteitage zu Nürnberg im Jahre 1908 wurde der Be- 
schluß gefaßt, die Jugend systematisch zu bearbeiten und eine Zeitschrift 
derauszugeben, die auf dem Boden des Klassenkampfes steht. Das müssen 
wir auf das allerentschiedenste verurteilen. Wir wollen durch unsere Ein- 
wirkung auf die Jugend die Arbeitsfreudigkeit, Frische und Fröhlichkeit 
der Jugend stärken. Aber wir wollen ihr das Leben nicht verekeln. (Zuruf 
bei den Sozialdemokraten: Wir auch nicht!) Sie wollen vielleicht nicht, 
aber Sie tun es. (Beifall rechts und Zuruf bei den Sozialdemokraten.) 
Ob Beifall rechts oder links, ist ganz egal, wenn er nur angebracht 
in. Die Sozialdemokratie hat Flugblätter an die Jugend verteilt, die 
wir nicht scharf genug verurteilen können. In einem der Flugblätter 
heißt es: Man will, daß Du ein demütiger gehorsamer Arbeiter wirst, 
der sich von seinem Arbeitgeber geduldig das Fell über die Ohren 
ziehen läßt, der seiner Obrigkeit in allen Beziehungen Respekt erweist. 
Du sollst Steuer zahlen, aber stets bescheiden den Mund halten. Glauben 
Sie zu den Sozialdemokraten), daß Sie durch derartige Sachen auf die 
Jugend gut einwirken können? Glauben Sie denn, daß es nicht gefährlich 
ist, wenn man den Geist der Jugend in dieser Weise einseitig zu beeinflussen 
such!? In einem anderen Flugblatt haben Sie Goethe, Schiller und Lessing 
als zu der Sozialdemokratie gehörig bezeichnet. (Zuruf bei den Sozial- 
demokraten: Lesen Sie doch das Flugblatt vor!) Ich habe es nicht hier. 
Aber es ist mir lieb, daß Sie es bestreiten, sonst würde ich es Ihnen be- 
streiten. Wir wollen keinen Byzantinismus und keinen Hurrapatriotismus, 
keinen kommandierten Patriotismus, aber wir wünschen entschieden die 
Pslege echt vaterländischer Gesinnung. Gegen die heterischen Tendenzen, 
wie sie sich jetzt bei Ihrer Jugendbewegung geltend gemacht haben, müssen 
wir energisch vorgehen und sie entschieden und mit Abschen zurückweisen. 
In der Wandervogelorganisation wird in einer Weise Antisemitismus ge- 
trieben, wie es schon nicht mehr schön ist. Hier sucht ein gewisser partei- 
politischer Patriotismus mit der Jugend Geschäfte zu machen. Im Jahre 1913 
wurde ein junges Mädchen jüdischen Glaubens, das schon die Probefahrten 
mitgemacht hatte, plötzlich ausgeschlossen mit der Begründung, sie gehöre 
nicht in diesen deutschen Verein hinein, da sie eine Jüdin sei, und Jüdinnen 
konne diese deutsche Bewegung nicht gebrauchen. In einer Flugschrift, die 
im Sinne des Wandervogels gehalten ist, heißt es, Deutschland ist nicht 
die Heimat des Juden. Die Flugschrift sagt, daß der Kaiser drei jüdische 
Generaladjutanten hätte, und dann weiter: Wir wissen, daß die Tage 
der Monarchen gezählt sind, die sich mit Juden einlassen. Hierin äußert 
sich eine Roheit der Sprache, eine Roheit des Geistes und eine Roheit des 
Verzens, die vergiftend wirken muß auf die Kinder jüdischen und christlichen 
Glaubens. Ich freue mich, daß Sie mir auf allen Seiten darin beistimmen. 
Wir fürchten, daß, wenn eine solche Verhetzung um sich greifen sollte, der 
konfessionelle Frieden nicht nur in den Schulen, sondern im ganzen Lande 
gestört wird. Ich bitte die Regierung, derartigen Dingen, wo sie nur irgend 
Europäischer Geschichtskalender. I.V. 17
	        
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