258 D##s Deesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.— 13.)
kann, mit aller Willenskraft entgegenzutreten. Der Beschluß der Bundes-
leitung des Wandervogels ist in seinem ersten Teile sehr schön, aber dann
kommt das „anderseits“. Das erinnert mich an einen alten Lehrer, der
da sagte, der Unterschied zwischen schwarz und weiß ist gar nicht so groß:
Schwarz, schwärzlich, grau, gräulich, weißlich, weiß, da ist der Uebergan
schon da. Wer Rassenstudien treiben will, darf nicht nur oberflächiich
Chamberlain lesen, sondern er muß tiefer graben. Dann wird er erkennen,
wie unsinnig alle diese Rassentheorien sind. Jedenfalls kann ich mit Ihrer
aller Zustimmung feststellen, daß auch Sie diese Dinge nicht billigen. Wir
hoffen, daß es geliugt, Auswüchse zu beseitigen im Interesse unserer Jugend“
Abg. Haenisch (Sd.): „Auch wir wenden uns mit aller Entschiedenheit
gegen antisemitische Bestrebungen. Die hinterhaltige und zweideutige Art,
in der jetzt diese Frage im „Wandervogel“ behandelt wird, muß zurück-
gewiesen werden. Man soll in der freideutschen Jugendbewegung tro
mancher romantischer Schwärmereien den gesunden Kern anerkennen. Gewiß
ist manches an der Bewegung unreif und unklar, aber unreif zu sein, ist
doch eins der Vorrechte der Jugend. Wenn der Most auch etwas heftig
gärt, so wird doch ein guter Wein daraus. Das Begrüßungsgedicht von
Herbert Eulenberg gelegentlich des freideutschen Jugendtages haben auch
die sozialdemokratischen Zeitungen freudig und gern abgedruckt. Die ganze
bürgerliche Jugendbewegung ist im Grunde nur ein Angstprodukt vor der
erwachenden proletarischen Jugend. Zetzt hat der kapitalistische Staat auf
einmal auch für die Jugend Millionen bei der Hand. In Preußen stehen
schon 2½ Millionen jugendlicher Arbeitskräfte, im Alter von 11—21 Jahren,
im Vrunerkelben in Handwerk, Industrie und Handel. Das ist die öko-
nomische Wurzel der ganzen Zugendfrage, die Quelle, aus der alle diese
Erörterungen entspringen. Aus dieser Tatsache entsprang vor etwa einem
Jahrzehnt die erste Jugendbewegung, aus der Notlage der Jugend heraus.
Die jugendlichen Arbeitskräfte wurden in schamlosester Weise mißbraucht,
was sogar zu Selbstmorden geführt hat. Das alles hat spontan die Jugend-
bewegung im Proletariat erweckt. Der Sozialdemokratie gegenüber hat
man immer das Wort befolgt: Zuckerbrot oder Peitsche. So war es schon
zu Bismarcks Zeiten und so ist es noch heute. Die Agrarier haben Angst
vor der Jugendbewegung auf dem Lande, weil sie dann die jugendlichen
Arbeiter nicht mehr so ausnußen können. Für die Städte halten sie die
Jugendbewegung für geeignet.“ Der Redner führt für seine Ansicht zahl-
reiche Beispiele an und verliest zahlreiche Zeitungsausschnitte, so daß der
Präsident mit einer Mahnung dagegen einschreitet. Er beschwert sich ferner
über das Verhalten der Jungdeutschland-Organisationen, in deren Reihen
Parteipolitik hineingetragen werde. Er fährt fort: „In einem konservativen
Organ wird ausgeführt, daß es das erstrebenswerte Ziel der konservativen
Partei sein müßte, unsere Jugend politisch zu erziehen. Wenn derartiges
von der sozialdemokratischen Seite gesagt wäre, ich wollte mal sehen, welch
ein Lamento sich dann erheben würde. Die freie Jugendbewegung ist hervor-
gegangen aus der wirtschaftlichen Not der arbeitenden Bevölkerung. Sie
hat den wirtschaftlichen Schutz der Kinder und jungen Leute vor der Aus-
beutung des Kavitalismus auf ihre Fahne geschrieben. Sie hält es für
ihre vornehmste Aufgabe, Wissen und Kenntnisse unter der arbeitenden Jugend
zu verbreiten und die jungen Leute zu wissenden und denkenden Menschen
heranzubilden. Unsere freie Jugendbewegung ist im Aufblühen begriffen,
sie zahlt heute bereits mehr als 120000 Mitglieder. Der Abg. Wallbaum
hat mit gefälschten Zitaten gearbeitet. Wenn wir in der freien Jugend-
bewegung den Geist des Militarismus und den chauvinistischen Geist be-
kämpfen, so ist das recht, und darauf sind wir stolz! Wir wollen die Jugend