Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Dentsqhe Reitch und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.—13.) 259 
erjüllen mit Abscheu vor dem Völkermord. Wir werden in der freien 
Jugendbewegung noch ganz andere Erfolge erleben, mögen Sie mit Zucker- 
brot kommen oder mit der Peitsche gegen sie vorgehen. Die freie Jugend- 
bewegung wird blühen, wachsen und gedeihen, sie ist die feste Zukunft unseres 
Volkes und verkörpert in sich die höchsten Ideale; sie wird über alle hin- 
weggehen, vom Kultusminister an bis zum letzten Dorfpolizisten.“ 
Am 12. Mai antwortet darauf der Kultusminister v. Trott zu 
Solz: „Nachdem ich gestern infolge der langen Ausdehnung der Rede des 
Abg. Haenisch meine Wortmeldung zurückgezogen habe, will ich heute Stel- 
lung nehmen zu dem, was die einzelnen Redner hier vorgetragen haben. 
Es sind in der Debatte zwei unterschiedliche Gegenstände behandelt worden. 
Man muß in der Tat, glaube ich, unterscheiden zwischen der Bewegung, 
die sich neuerdings unter der Jugend herausgebildet hat und die u. a. 
ihren Ausdruck gefunden hat in der Versammlung auf dem Meißner, und 
zwischen der eigentlichen Jugendpflege, um die es sich hier handelt. Zu ihr 
gehört jene Bewegung nicht. Es hat diese Bewegung auch niemals einen 
Zuschuß erhalten aus den Mitteln, die im Etat für die Ingendpflege vor- 
gesehen sind. Auch das, was über den Wandervogel hier vorgetragen wor- 
den ist, gehört eigentlich nicht in den Bereich unserer gegenwärtigen Er- 
örterungen. Ich will aber doch, da diese Frage nun einmal hier behandelt 
worden ist, dazu sagen, wie auch ich es schmerzlich bedauere, daß die Aus- 
schreitungen, die hier von der Tribüne des Hauses mitgeteilt worden sind, 
im Wandervogel vorgekommen sind. Man hat gewiß allen Anlaß, diese 
Dinge auf das ernsteste zu tadeln, und wenn ich nicht irre, ist ja auch der 
Wandervogel selbst in seinem Vorstande gegen diese Ausschreitungen vor- 
gegangen. Ich kann nur wünschen, daß es den Männern, die im Wander- 
vogel tätig sind, gelingt, dauernd Abhilfe gegen derartige Ausschreitungen 
zu finden und die Sicherheit zu schaffen, daß sie sich nicht wiederholen, 
damit das Gute und Fördernswerte, was im Wandervogel liegt, erhalten 
bleibt und nicht zugrunde geht. Nun muß man ja allerdings auch bei dem 
Wandervogel unterscheiden. Es gibt mehrere Wandervogelarten. Sie haben 
einen Altwandervogel, einen Wandervogel und einen Jungwandervogel, 
und wenn der Abg. Haenisch diesen Bestrebungen seine Sympathie bis zu 
einem gewissen Grade aussprach, so hat er dabei wohl nur an den Jung- 
wandervogel gedacht. Ich habe auch durchaus Verständnis für den Ueber- 
schwang der Jugend; ich weiß, daß aus dem gärenden Most der gute Wein 
kommt Aber wenn gereifte Männer gerade an diese Eigenschaft der Jugend 
appellieren, sie nicht mildern, sondern sie stärken, wenn sie diesen Gegensatz 
vertiefen mit ihrer Autorität, wenn sie die Jugend aufrufen zum Kampf 
gegen die Schule, gegen Vater und Mutter, so ist das ein verwerfliches 
Beginnen, das gar nicht energisch genug zurückgewiesen werden kann. In 
diesem Zusammenhange will ich auch nicht weiter eingehen auf die Aus- 
führungen, die über einen Elternabend in der Nähe von Berlin gemacht 
worden sind, da auch der eigentlich mit der Jugendpflege nicht zusammen- 
hängt. Es handelte sich dort um ein Unternehmen der Schule selbst. Leider 
sind dort bei dieser Gelegenheit unbegreifliche Mißgriffe vorgekommen; die 
entsprechende Remedur ist eingetreten, ich hoffe, daß sich so etwas nicht 
wiederholt. Ich will nun über die Jugendpflege sprechen. Da ist es ja 
wohl, wie es scheint, unvermeidlich, daß wir alljährlich über diesen Gegen- 
stand eine heftige Brandrede der Sozialdemokratie zu hören bekommen. 
Sie wiederholt sich alljährlich, und die Variationen dieser Ausführungen 
sind nicht groß. Es werden heftige Angriffe gemacht, sie steigern sich in 
einem ausfallenden Angriff gegen mich, bis sie ihren Höhepunkt erreichen. 
Sie haben auf mich von Anfang an keinen Eindruck gemacht. Das wird 
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