Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Vensche Reich und seine einzeluen Glieder. (Mai 14.) 281 
des bayerischen Landtagwahlgesetzes durch Einführung der Ver— 
hältniswahl. 
14. Mai. (Reichstag.) Beratung des Etats des Auswärtigen 
Amtes. 
Nach dem Bericht des Abg. Bassermann (Nl.) über die Verhand- 
lungen der Kommission, worin ein umfassender Ueberblick über die all- 
gemeine politische Lage gegeben wurde, ergreift der Staatssekretär v. Jagow 
das MWor#t zu folgenden Ausführungen: 
„Seitdem der Reichskanzler zum letzten Male hier vor Ihnen, m. H., 
über die auswärtige Politik gesprochen hat, hat die allgemeine Entspannung 
in Europa Fortschritte gemacht. Die Liquidation der durch die Balkan- 
ereignisse geschaffenen Lage ist, wie wir hoffen wollen, zu einem gewissen 
Abschluß gelangt, nachdem die in den Beschlüssen von Bukarest und London 
niedergelegten Bedingungen von allen Beteiligten als Grundlagen für den 
Frieden akzeptiert worden sind. Freilich ist zu erwarten, daß der tatsäch- 
lichen Durchführung dieser Beschlüsse von keinem der Beteiligten Schwierig- 
keiten in den Weg gelegt werden, sondern daß vielmehr alle bedacht sind, 
auf dem Wege der Verständigung diejenigen Differenzen auszugleichen, die 
bei so großen Umwälzungen nun einmal nicht ausbleiben können. Nach 
den schweren Prüfungen, welche das uns befreundete ottomanische Reich 
hat durchmachen müssen, wird, wie wir annehmen, die Regeneration, die 
es sich zum Ziel gesetzt hat, nur gefördert werden, wenn es gelingt, praktisch 
ein friedliches Nebeneinanderleben der verschiedenen Elemente in den neu- 
verteilten Gebieten zu garantieren. Als ein erfreuliches Zeichen möchte ich 
es hinstellen, daß sich die türkische Regierung entschlossen hat, auf den Rat 
der Mächte in Armenien Reformen einzuführen, welche zu der Hoffnung 
berechtigen, daß auch in diesem Gebietsteile des türkischen Reiches sich be- 
friedigende Verhältnisse entwickeln werden. Da auch die siegreichen Balkan— 
völker einen Landerwerb wirtschaftlich und kulturell nur in ruhiger Friedens- 
arbeit weiterentwickeln können, möchte Grund zu der Hoffnung sein, daß 
alle Beteiligten weiterhin auf einen friedlichen Ausgleich bedacht sind. Wir 
werden es uns angelegen sein lassen, soweit wir dies vermögen, hierauf 
hin zuwirken. 
Ueber Albanien sind in der letzten Zeit oft widersprechende Nach- 
richten in der Presse verbreitet worden. Daß der Fürst schon mit der 
Schaffung der organisatorischen und wirtschaftlichen Grundlagen des neuen 
Staates vor eine überaus schwierige Aufgabe gestellt wurde, war von vorn- 
herein klar. Dazu kommt das Widerstreben einzelner Stämme in ver- 
schiedenen Teilen des Landes, sich in die neuen Lebensbedingungen hinein- 
zufinden. Nachdem aber Griechenland die Evakuierung des Epirus von 
Truppen beschlossen hat, nachdem die albanische Regierung sich geneigt zeigt, 
den Epiroten Konzessionen zu machen, wird es hoffentlich dem Vermittlungs- 
werk der Kontrollkommission gelingen, auch hier die Ruhe wieder herzu- 
stellen. Bei den noch unentwickelten Lebensbedingungen des bisher an straffe 
Staatsformen nicht gewöhnten Landes wird man sich freilich davor hüten 
müssen, noch ungeordnete und unruhige Zustände mit dem gewohnten Maß 
zu messen. Viele der Nachrichten übrigens, welche in der letzten Zeit ver- 
breitet wurden, tragen zu deutlich den Stempel der Sensation auf der 
Stirn. Ich sehe deswegen noch keinen Grund, die allmähliche Konsolidierung 
des Landes und Staates als eine Utopie zu behandeln. Wenn wir von 
der gegenwärtigen Etappe auf die Balkanereignisse zurückblicken, so dürfen 
wir mit Genngtuung feststellen, daß es dem einheitlichen und geschlossenen
	        
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