286 Bas Betsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Mai 14.)
sprache nicht eingehen können. Graf Berchtold erzählt uns in seinem Rot-
buch leider nicht, was wir gern wissen möchten. Die Delegationen scheinen
etwas anderes von dem Rotbuch erwartet zu haben. In frühern Jahren
hatte ich oft gewünscht, daß auch uns ein solches Rot-, Weiß-- oder Gelb-
buch vorgelegt würde, aber Bismarck hat doch wohl recht gehabt, daß er
das nicht einführte; denn Neues erfährt man aus diesen Büchern doch
nicht. Wir stehen auf dem Boden des Dreibundes, aber auch wir lassen
uns unsere Bewegungsfreiheit dadurch nicht einschränken. So werden auch
wir unbeschadet des Dreibundes gute Beziehungen mit England und Ruß-
land pflegen. Die Annäherung an England werden wir unverdrossen und
unbeirrt zu einer Verständigung zu führen suchen. Ich bin oft dafür ein-
getreten schon zu einer Zeit, als man es noch nicht gern las, als manche
noch mit erstaunlicher Sorglosigkeit die Möglichkeit eines Krieges zwischen
uns und England erörterten. Ein solcher Krieg wäre ein Verbrechen, wäre
Unsinn. Auf der Galerie sitzen lachende Dritte, die bei einem solchen Kon-
slikt viel gewinnen würden. Wir müssen uns also vertragen. Wir wollen
aber auch gute Beziehungen zu Rußland unterhalten. Wir machen uns
oft einen falschen Begriff von dem Einfluß der russischen Regierung auf
die russische Presse. Es kann auch in Rußland nicht alles par ordre du
musti angeordnet werden; deshalb habe ich mich gefreut über die Aeuße-
rungen des Staatssekretärs, daß es hoffentlich gelinge, auch weiter die
traditionellen guten Beziehungen zu pflegen. Wir können uns auch nur
freuen, daß in dem Exposé des Grafen Berchtold kein Wort von der rus-
sischen Mobilmachung und von Gegenmaßregeln Oesterreichs steht, daß also
auch dies der Vergangenheit angehört. Kann ein Kontakt zwischen Wien
und Petersburg bestehen, so läßt sich auch bei gutem Millen eine Entente
zwischen Petersburg und Berlin herstellen. Wir laufen niemand nach, aber
das Gefühl unserer Stärke gibt uns auch das Gefühl der Sicherheit. Die
Erhaltung der Türkei wünschen auch wir. Dringend zu wünschen wäre es,
wenn eine Vermittlung der Großmächte, auch Deutschlands, in Evirus statt-
fände, damit kein weiteres Blutvergießen stattfindet und die Griechen mit
ihren teilweise ganz unerhörten Forderungen zurückgewiesen werden. Ob
Herr Wendel mit seinem Ruf: Vive la Francel seiner Sache genützt hat,
möchte ich stark bezweiseln. Wir wollen bestimmt mit Frankreich in Freund-
schaft und in Frieden leben; aber wo sind denn die maßgebenden Rreise,
die dort davon sprechen? Barthonu sagte einmal, eine Annäherung Frank-
reichs an Deutschland sei gleichbedeutend mit der Abdankung Frankreichs
als Weltmacht und er könne nicht glauben, daß echte Franzosen Partei-
gänger einer solchen Politik seien. Das sind doch nicht Morte des Friedens
und der Freundschaft. Denken Sie auch an die jüngste Rede Clemenceaus,
in der er von dem Wolfshunger und der Wolfsnatur der Deutschen sprach.
Wie können Sie da von einer deutschfreundlichen Stimmung Frankreichs
sprechen? Ich hoffe ja, die Völker werden sich verständigen, aber daß es
heute schon eine große Verständigungspartei in Frankreich gibt, glaube ich
nicht. Die Frage, wie lange Frankreich wohl den schwierigen Zustand mit
der dreijährigen Dienstzeit aushalten kann, erregt allerdings große Besorg-
nisse. Aber es fragt sich, ob denn wirklich die heute heranwachsende Gene-
ration Frankreichs noch eine so große Sehnsucht nach den beiden verlorenen
Provinzen hat. Das bestreiten viele. Es hat aber auch noch niemals eine
Bürgschaft gegen plößtliche Entschließungen gegeben, die zu entsetzlichen
Ratastrophen führten. Wie steht es mit der Scedeklaration von 19097 Die
erste Haager Konferenz hat das Landkriegsrecht kodifziert. Ein Seekriegs-
recht wäre die naturgemäße Ergänzung. Die Zustimmung zur Seedeklaration
stieh gerade in England auf Schwierigkeiten. Sollte man England zugegeben