Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

288 DBa Vetsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 11.) 
Welt geleistet hat. Wir haben ein gemeinsames Interesse der offenen Tür 
in allen Ländern. Wir brauchen eine Politik internationaler Verträge und 
darüber hinaus auch eine solche, die eine Internationalisierung des Rechtes 
im weitesten Sinne anstrebt. Wir brauchen den Handelsverkehr und eine 
Minderung der Reibungsflächen zwischen den einzelnen Nationen. Dazu 
dienen internationale Schiedsgerichte. Das Haager Schiedsgericht haben die 
sogenannten klugen Leute sehr bespöttelt und als eine Ausgeburt des 
Illusionismus bezeichnet. Wir können nur wünschen, daß dieses System 
immer weiter ausgebildet wird. Man verschreit uns überall als die eigent- 
lichen Gegner des Friedens. Deshalb wäre es gut, wenn der Staatssekretar 
meinen Anregungen folgte und in der „Norddeutschen Allgemeinen Zei- 
tung" seine Erklärungen in der Budgetkommission der Oeffentlichkeit zu- 
gänglich machte. Trotz des vierzigjährigen Friedens gelten wir immer noch 
für den Friedensfeind. Auf den innigen Zusammenhang zwischen innerer 
und auswärtiger Politik bei uns ist schon hingewiesen worden. Das Aus- 
land ist der Auffassung, daß nicht der Wille des friedlichen Volkes, sondern 
der einer kleinen einflußreichen Minderheit entscheidend ist. Als Beweis 
führt man Zabern an. Generäle und andere unverantwortliche Stellen, 
wie der preußische Landtag, machen unsere auswärtige Politik. Das ist 
zweifellos nicht dazu angetan, uns Sympathien zu verschaffen. Wir ver- 
langen eine einheitliche Politik und nicht einen Dualismus, indem die aus- 
wärtige immer von der inneren durchkreuzt wird. Das ist unbedingt nol- 
wendig, wenn sich im Auslande die Meinung verbreiten soll, daß Deutsch- 
land ein Hort des Friedens und des kulturellen Fortschritts ist. Ein Hort 
des Friedens ist Deutschland immer gewesen, ein kultureller Fortschritt ist 
es nicht immer gewesen. Solange wir das nicht sind, werden wir auch 
nicht das Vertrauen des Auslandes genießen.“ Staatssekretär des Aus- 
wärtigen Amts v. Jagow: „Ich weiß nicht, wie der Vorredner zu der 
Ansicht gekommen ist, daß ich mich zum Fürsprecher oder Verteidiger 
chauvinistischer Kundgebungen gemacht hätte. Ich habe hier nur festgestellt, 
daß in der russisch-demschen Preßkampagne der Angriff von russischer Seite 
ausgegangen ist und daß schließlich, wenn man fortgesetzt angegriffen wird, 
es natürlich ist, daß auch eine Reaktion eintritt. Ich habe ferner festgestellt 
daß das Maß, womit wir im Auslande gemessen werden, kein gleiches ist, 
daß die Angriffe, die gegen uns geführt werden, nicht in dem Maße be- 
achtet werden, wie nachher die Verteidigung oder die Gegenangriffe. Zum 
Verteidiger irgendwelcher chauvinistischer Angriffe habe ich mich nie ge- 
macht.“ 
Abg. Dr. Oertel (Dk.): „Der Staatssekretär hat mit seinen Aus- 
führungen durchaus recht. Die Differenz zwischen ihm und dem Abg. Gothein 
zeigt, daß er die russische Presse etwas besser kennt als der Abg. Gothein. 
Wer gewohnt ist, in dieser letzten Zeit in russischen Blättern zu lesen, muß 
zugeben, daß die Presse von Rußland die Anfängerin gewesen ist, und daß 
der Widerhall aus Deutschland ein Säuseln war gegen die Klänge, die von 
Osten herübertönten. Sie werden mir wohl nicht allzusehr übel nehmen, 
wenn ich dem Vorredner aus dem Hause nicht auf alle Gebiete folgen will. 
Ich möchte zwei Worte nur sagen zu der Entschlicßung über die Ausbildung 
der Diplomaten und konsularischen Beamten. Daß die Ausbildung der 
Diplomaten manches zu wünschen übrig läßt, darüber sind sich wohl alle 
einig; aber es soll auch andere Berufsstände geben, wo manche Wünsche 
bioher unerfüllt geblieben sind. Marum soll man die Dinge nicht bessern? 
Ich habe immer dafür gesprochen, daß man darauf bedacht sein musse, 
unsere künftigen Vertreter im Auslande, die divlomatischen, die konfula- 
rischen, mit der Weltwirkschaft bekanntzumachen, vorausgesetzt, daß man sich
	        
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