Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

292 Bs Deutiche Reich und seine einzeluen Glieder. Mai 14.) 
und wirtschaftlichen Leben gilt die Tatsache, wer gerüstet ist, der wird auch 
zum Siege kommen, zumal wenn die Chancen so liegen wie bei uns. 
Ueber die Verhandlungen mit England wegen Afrika hat der Staatssekretär 
nichts sagen können. Wir wünschen, daß diese Verhandlungen zu einem 
guten Ende führen. Wir wollen England das zugestehen, worauf es An- 
spruch hat. Aber wir wollen nicht, wie es öfters bei Verhandlungen mit 
England geschehen sein soll, uns über den Löffel barbieren lassen. Das er- 
warte ich auch jetzt nicht, nachdem der Staatssekretär auf anderen Gebicten 
den Bahnen Biemarcks gefolgt ist. Ich habe oft ausgesprochen, daß ich 
mich freuen würde, wenn die Beziehungen zu England gut, besser und 
ganz korrekt würden. Aber ich habe immer den Standpunkt eingenommen 
und von diesem Pulte aus schon mehrsach diesen Standpunkt vertreten, wir 
dürfen uns nicht anbiedern. Damit erreicht man das Gegenteil. Ich be- 
streite nicht, daß man in England viel vernünftiger geworden ist. Sir Ed- 
ward Grey hat vor einigen Tagen Aeußerungen über das Kriegsrecht und 
das Seebeuterecht gemacht. Er hat dabei durchblicken lassen, daß er die 
Rüstung zur See nicht von dieser Frage abhängig macht. Auch wir Deutsche 
kümmern uns nicht bei der Ausbildung unserer Seemacht um andere 
Fragen. Mir handeln nur so, wic es unsere eigenen Interessen verlangen. 
Uns ist es gleichgültig, wie England darüber denkt. Wir wollen eine Flotte, 
die unseren Handel und unsere RKüsten schützt. Die Höhe regeln wir nach 
unseren eigenen Bedürfnissen. Wenn das in England anerkannt wird, jso 
ist das der größte Fortschritt.“ Der Redner kommt nun auf die Frage der 
Entschädigung für die im Burenkrieg geschädigten Deutschen zurück. Er er- 
wähnt die Ablehnung des Vorschlages seitens Englands, die Frage dem 
Haager Schiedsgericht zu unterbreiten und bemerkt weiter: „Dieser Vorgang 
ist doch ein wahrhaft tyvisches Beispiel dafür, daß Schiedsgerichte und Ab- 
kommen nicht in allen Fällen helfen. Ich bin kein Gegner der Schieds- 
gerichte. Ich glaube und weiß, daß manches gütlich erledigt worden ist und 
erledigt werden kann bei beiderseitigem guten Willen. Wenn der gute Wille 
sehlt, wie das bisweilen vorkommen soll, dann haben wir doch kein anderes 
Mittel, unser Recht durchzusetzen, als daß wir gerüstet sind und bleiben. 
Wer Frieden will, der muß zum Krieg gerüstet sein. Wer zurückblickt in 
die Oeffentlichkeit, der wird sehen, wie oft man uns mit Unrecht kriege- 
rischer Absichten geziehen hat. Andere haben weit öfters und weit ernstere 
kriegerische Absichten gehabt. Wir werden unsere Friedensliebe auch weiter 
beweisen. Wir sichern den Frieden aber nur, wenn wir allen Völkern mit 
der genügenden Deutlichkeit bekunden, daß wir gegebenenfalls enischlossen 
sind, auch von der ultimn ratio des Schwertes Gebrauch zu machen. Be- 
reit zum Frieden, zu einem ehrlichen und ehrenvollen, aber darüber bereit 
auch zum Kriege immerdar.“ 
Abg. Schultz-Bromberg Rv.): „Trotz alledem, was heute gesag! 
worden ist, will ich nur hervorheben, daß die volitische Lage in Europa 
von dem Gegensatze zwischen Frankreich und Deutschland beherrscht wird. 
Dieser Gegensatz wird bestehen, auch trotz der letzten französischen Wahlen. 
wobei ja die Sozialdemokraten so große Vorteile errungen haben. Durch 
diese Wahlen zieht Frankreich keinen Mann von der Grenze zurück. Um 
so unverständlicher war es deshalb, von dem Abg. Gothein zu hören, wir 
möchten uns nach Nordamerika und England richten. Nordamerika sieht 
keine militärische Macht zur Seite. Das kann man doch nicht mit uns ver- 
gleichen, die wir auf allen Seiten von den größten Militärmächten der 
MWelt umgeben sind. Wenn man die beiderseitigen Ausgaben vergleicht, dann 
findet man, daß auch Nordamerika für solche unproduktiven Zzwecke. wir 
es der Abg. Gothein nennt, recht große Summen ausgibt. Ebenso unver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.