Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

3724 HNes NBentsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (August 3.) 
teil persönlich zu verabschieden, ist nach Lage der Verhältnisse leider un- 
möglich, und so rufe ich Euch denn auf diesem Wege meine treuesten 
Wünsche zu. Gott mit Euchl 
3. August. Die deutsche Regierung veröffentlicht unter dem 
Titel „Vorläufige Denkschrift und Aktenstücke zum Kriegsausbruch“ 
ein „Weißbuch“ für den Reichstag. (Uber die Nachträge siehe den 
„Anhang“.) 
Am 28. Juni d. J. ist der österreichisch-ungarische Thronfolger Erz- 
herzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin, die Herzogin von Hohenberg. 
durch Revolverschüsse des Mitglieds einer serbischen Verschwörerbande nieder- 
gestreckt worden. Die Untersuchung des Verbrechens durch die österreichisch- 
ungarischen Behörden hat ergeben, daß das Komplott gegen das Leben des 
Erzherzog-Thronfolgers in Belgrad unter Mitwirkung amtlicher serbischer 
Personen vorbereitet und gefördert, mit Waffen aus den staatlichen serbischen 
Depots ausgeführt wurde. Dies Verbrechen mußte der ganzen zivilisierten 
Welt die Augen öffnen, nicht nur über die gegen den Bestand und die 
Integrität der österreichisch-ungarischen Monarchie gerichteten Ziele der 
serbischen Politik, sondern auch über die verbrecherischen Mittel, die die 
großserbische Propaganda in Serbien zur Erreichung dieser Ziele anzu- 
wenden sich nicht scheute. Das Endziel dieser Politik war die allmähliche 
Revolutionierung und schließliche Lostrennung der südöstlichen Gebietsteile 
der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihre Vereinigung mit Serbien. 
An dieser Richtung der serbischen Politik haben die wiederholten und freier- 
lichen Erklärungen, in denen Serbien Oesterreich--Ungarn gegenüber die 
Abkehr von dieser Politik und die Pflege guter nachbarlicher Beziehungen 
gelobt hat, nicht das geringste geändert. Zum dritten Male im Laufe der 
letzten sechs Jahre führt Serbien auf diese Weise Europa an den Rand 
eines Weltkriegs. Es konnte dies nur tun, weil es sich bei seinen Be- 
strebungen durch Rußland gestützt glaubte. Die russische Politik war bald 
nach den durch die türkische Revolution herbeigeführten Ereignissen des 
Jahres 1908 daran gegangen, einen gegen den Bestand der Türkei gerichteten 
Bund der Balkanstaaten unter seinem Patronat zu begründen. Dieser 
Balkanbund, dem es im Jahre 1911 gelang, die Türkei siegreich aus dem 
größten Teil ihrer europäischen Besinungen zu verdrängen, brach über die 
Frage der Benteverteilung in sich zusammen. Die russische Politik licß 
sich durch diesen Mißerfolg nicht abschrecken. In der Idee der russischen 
Staatsmänner sollte ein neuer Balkanbund unter russischem Patronat ent- 
stehen, dessen Spitze sich nicht mehr gegen die aus dem Balkan verdrängie 
Türkei, sondern gegen den Bestand der österreichisch= ungarischen Monarchie 
richtete. Die Idee war, daß Serbien gegen die auf Kosten der Donau- 
monarchie gehende Einverleibung Bosniens und der Herzegowina die im 
letzten Balkankrieg erworbenen Teile Magedoniens an Bulgarien abtreten 
sollte. Zu diesem Behuse sollte Bulgarien durch Isolierung mürbe gemacht, 
Rumänien durch eine mit Oilfe Frankreichs unternommene Propaganda 
an Rußland gekettet, Serbien auf Bosnien und Herzegowina gewiesen 
werden. 
Unter diesen Umständen mußte Oesterreich sich sagen, daß es weder 
mit der Würde noch mit der Selbsterhaltung der Monarchie vereinbar 
wäre, dem Treiben jenseits der Grenze noch länger tatenlos zuzusehen. 
Die k. und k. Regierung benachrichtigte uns von dieser Auffassung und erbat 
unsere Ansicht. Aus vollem Herzen konnten wir unserem Bundesgenossen 
unser Einverständnis mit seiner Einschätzung der Sachlage geben und ihm
	        
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