Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

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bezeichnete darauf die Mobilmachungsmaßnahmen gegen Oesterreich-Ungarn 
als auch für Deutschland höchst bedrohlich. In den darauf folgenden Tagen 
folgten sich die Nachrichten über russische Mobilisierungen in schnellem Tempo. 
Unter diesen waren auch Nachrichten über Vorbereitungen an der deutschen 
Grenze, so die Verhängung des Kriegszustandes über Kowno und der Ab- 
morsch der Warschauer Garnison, Verstärkung der Garnison Alexandrowo. 
Am 27. Juli trafen die ersten Meldungen über vorbereitende Maß- 
nahmen auch Frankreichs ein. Das 14. Armeekorps brach die Manöver 
ab und kehrte in die Garnison zurück. Inzwischen sind wir bemüht geblieben, 
daurch nachdrücklichste Einwirkung auf die Kabinette eine Lokalisierung des 
Konflikts durchzusetzen. 
Am 26. hatte Sir Edward Grey den Vorschlag gemacht, die 
Differenzen zwischen Oesterreich-Ungarn und Serbien einer unter seinem 
Vorsitz tagenden Konferenz der Botschafter Deutschlands, Frankreichs und 
Italiens zu unterbreiten. Zu diesem Vorschlag haben wir erklärt, wir könnten 
uns, so sehr wie seine Tendenz billigten, an einer derartigen Konferenz nicht 
beteiligen, da wir Oesterreich in seiner Auseinandersetzung mit Serbien nicht 
vor ein europäisches Gericht zitieren könnten. 
Frankreich hat dem Vorschlag Sir Edward Greys zugestimmt, er ist 
jedoch schließlich daran gescheitert, daß Oesterreich sich ihm gegenüber, wie 
vorauszusehen, ablehnend verhielt. 
Getreu unserem Grundsatz, daß eine Vermittlungsaktion sich nicht 
auf den lediglich eine österreichisch-ungarische Angelegenheit darstellenden 
österreichisch-serbischen Konflikt, sondern nur auf das Verhältnis zwischen 
Oesterreich-Ungarn und Rußland beziehen könnte, haben wir unsere Bemüh- 
ungen fortgesetzt, eine Verständigung zwischen diesen beiden Mächten herbei- 
zuführen. Wir haben uns aber auch bereitgefunden, nach Ablehnung der 
Konferenzidee einen weiteren Vorschlag Sir Edward Greys nach Wien zu 
übermitteln, indem er anregt, Oesterreich-Ungarn möchte sich entschließen, 
entweder die serbische Antwort als genügend zu betrachten oder aber als 
Grundlage für weitere Besprechungen. Die österreichisch-ungarische Regie- 
rung hat unter voller Würdigung unserer vermittelnden Tätigkeit zu diesem 
Vorschlag bemerkt, daß er nach Eröffnung der Feindseligkeiten zu spät komme. 
Trotzdem haben wir unsere Vermittlungsversuche bis zum Aeußersten 
fortgesetzt und haben in Wien geraten, jedes mit der Würde der Monarchie 
vereinbare Entgegenkommen zu zeigen. Leider sind alle diese Vermittlungs- 
aktionen von den militärischen Vorbereitungen Rußlands und Frankreichs 
überholt worden. Am 29. Juli hat die russische Regierung in Berlin amtlich 
mitgeteilt, daß sie vier Armeebezirke mobilisiert habe. Gleichzeitig trafen 
weitere Meldungen über schnell fortschreitende militärische Vorbereitungen 
Frankreichs zu Wasser und zu Lande ein. An demselben Tage hatte der 
Kaiserliche Botschafter in Petersburg eine Unterredung mit dem russi- 
schen Minister des Auswärtigen, über die er telegraphisch das Folgende 
berichtete: 
„Der Minister versuchte mich zu überreden, daß ich bei meiner 
Regierung die Teilnahme an einer Konversation zu vieren befürworten sollte, 
um Mittel ausfindig zu machen, auf freundschaftlichem Wege Oesterreich-Ungarn 
zu bewegen, diejenigen Forderungen aufzugeben, die die Souveränität Serbiens 
antasten. Ich habe, indem ich lediglich die Wiedergabe der Unterredung 
zusagte, mich auf den Standpunkt gestellt, daß mir, nachdem Rußland sich 
zu dem verhängnisvollen Schritte der Mobilmachung entschlossen habe, jeder 
Gedankenaustausch hierüber sehr schwierig, wenn nicht unmöglich erscheine. 
Was Rußland jetzt von uns Oesterreich--Ungarn gegenüber verlange, sei 
dasselbe, was Oesterreich-Ungarn Serbien gegenüber vorgeworfen werde: ein
	        
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