J#s Deische Reich und seine einzelnen Glieder. „Januar 10.) 11
— (Lebhafter Widerspruch) nun, m. H., wenn Sie das bestreiten, dann
lassen Sie mich den Satz aussprechen, den Satz, daß diese Grundlage un-
verändert erhalten bleiben muß im Interesse des Reiches und Preußens.
Voch heute ist es undenkbar, daß das Verhalten des Reichskanzlers — ich
gebrauche Worte Bismarcks — in wichtigen Fragen des Einverständnisses
des preußischen Staatsministeriums entbehren könnte, daß in wichtigen An-
gelegenheiten z. B. bei neuen Gesetzen die preußischen Stimmen im Bundes-
rat abgegeben würden, ohne die übrigen in Preußen verantwortlichen Res-
sortchefs zu fragen. Das sind Worte, die Bismarck im Jahre 1867 ge-
sprochen hat, aber sie sind heute genau so maßgebend wie damals. Auch
ich koann heute — und würde es nie wagen — kein Gesetz einbringen, zu
dem ich nicht die Zustimmung des preuwischen Staatsministeriums habe.
Ganz unabhängig davon ist es, was Herr Graf Vorck speziell zu monieren
schien, daß so viele Reichsbeamte zu stellvertretenden Bundesratsbevoll-
mächtigten ernannt werden. M. H., das Maßgebende ist die Instruktion
der preußischen Stimmen, die erfolgt auf einen Beschluß des Staatsmini-
steriums, den Seine Majestät der König von Preußen genehmigt, den er
gutgeheißen hat. Wenn ich diese Worte Bismarcks angeführt habe, so hat
sich allerdings Bismarck auch stets zu dem Grundsatz bekannt, daß der größere
Staat im Reiche auch den weiteren Gesichtskreis haben müsse und daß,
wenn der Mensch wirklich mit seinen größeren Zwecken wachse, dieser weitere
Gesichtskreis des größeren Staates sich allen seinen Mitgliedern mitteilen
müsse, damit nicht eine Spezies des Partikularismus, der parlamentarische
Partikularismus, in die Höhe komme. So bestand auch schon für den großen
Kanzler ein Dualismus, ein Dualismus Preußen-Deutschland. In seiner
unvergleichlichen Staatskunst verstand er, ihn zu überwinden, indem er nie-
mals die Frage isolierte: was ist für Preußen ersprießlich? sondern indem
er die Parenthese: was ist für das Deutsche Reich ersprießlich? auch bei
seiner preußischen Politik nie aus den Augen verlor. Diesen Dualismus
aus unserem politischen Leben zu beseitigen, ist ein Ding der Unmöglich-
keit. Wir müssen uns mit ihm als mit einer durch das geschichtliche Werden
unserer politischen Zustände gegebenen Tatsache abfinden und die unver-
meidlichen Reibungen nach Möglichkeit zu mindern versuchen. Die Aufgabe,
die dadurch Preußen erwächst, ist mit den Zeiten immer größer, immer
verantwortungsvoller, immer schwieriger geworden. Die Anfeindungen
Preußens, m. H., sind dauernd gewachsen; daran kann niemand zweifeln,
der die Geschichte der letzten Jahrzehnte offenen Auges verfolgt. Der Gründe
dafür sind mancherlei. Das Schwinden der persönlichen Autorität der großen
Gründer des Reiches ist ein Moment, das wir Epigonen offen eingestehen
müssen. Aber auch der Geisteszustand jener Zeiten ist ein anderer gewesen
als der heutige. Was Deutschland, was das Reich dem preußischen Staate
verdankte, das stand damals jedem Deutschen lebendig vor Augen. Mit
der durch die Jahre bewährten Sicherheit unseres nationalen Gemeinbesitzes
sind die Erinnerungen an die nationalen Kampfjahre in den Hintergrund
getreten gegen die materiellen Interessen der Gegenwart. Wir sind dahin
zetommen, daß die Parteien vielsach zum Ausdruck von wirtschaftlichen und
onstigen Interessengemeinschaften geworden sind, daß sie die Vertretung
der preußischen Interessen der Regierung überlassen. Denken Sie, m. H.,
an die siebziger Jahre! Da finden Sie im Reich und in Preußen trotz der
Verschiedenheit des Wahlrechts Parlamente, die in ihrer inneren Struktur
nicht so weit voneinander abwichen. Das ist bald anders geworden. Schon
im Anfang der achtziger Jahre erhob Treitschke seine Stimme und wies
auf die Schwierigkeiten und Gefahren hin, wenn die beiden mächtigsten re-
bräsentativen Körperschaften von einem verschiedenen Geiste beseelt wären.