Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

378 Das Denisthe Reich und seine einfelnen Glieder. (August 3.) 
herzlichen Freundschaft, die uns beide seit langer Zeit mit festem Band 
dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende Verständigung mit Rußland 
verbindet, setze ich daher meinen ganzen Einfluß ein, um Oesterreich-Ungarn 
anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß Du Mich in meinen Bemühungen, 
alle Schwierigkeiten, die noch entstehen können, zu beseitigen, unterstützen 
wirst. Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund und Vetter 
Wilhelm.“ 
2. Der Zar au den Kaiser (29. Juli 1°% nachm.): „Ich bin 
erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist. In diesem so ernsten Augen- 
blick bitte ich Dich inständig Mir zu helfen. Ein schmählicher Krieg ist an 
ein schwaches Land erklärt worden, die Entrüstung hierüber, die Ich völlig 
teile, ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß Ich sehr bald dem 
Druck, der auf Mich ausgeübt wird, nicht mehr werde widerstehen können 
und gezwungen sein werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege 
führen werden. Um einem Unglück, wie es ein europäischer Krieg sein 
würde, vorzubengen, bitte Jch Dich im Namen unserer alten Freundschaoft, 
alles Dir mögliche zu tun, um Deinen Bundesgenossen davon zurück- 
zuhalten, zu weit zu gehen. Nikolaus."“ 
3. Der Kaiser an den Zaren (29. Juli 62° nachm.): „Ich habe 
Dein Telegramm erhalten und Deinen Wunsch nach Erhaltung des Friedens. 
Jedoch kann Ich — wie Ich Dir in Meinem ersten Telegramm sagte — 
Oesterreich-Ungarns Vorgehen nicht als „schmählichen Krieg“ betrachten. 
Oesterreichellingarn weiß aus Erfahrung, daß Serbiens Versprechungen, 
wenn sie nur auf dem Papier stehen, gänzlich unzuverlässig sind. Meiner 
Ansicht nach ist Oesterreich-Ungarns Vorgehen als ein Versuch zu betrachten. 
volle Garantie dafür zu erhalten, daß Serbiens Versprechungen auch wirklich 
in die Tat umgesetzt werden. In dieser Ansicht werde Ich bestärkt durch 
die Erklärung des österreichischen Kabinetts, daß Oesterreich-Ungarn keine 
territorialen Eroberungen auf Kosten Serbiens beabsichtige. Ich meine 
daher, daß es für Rußland durchaus möglich ist, dem österreichisch serbischen 
Krieg gegenüber in der Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne Europa 
in den schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es jemals erlebt hat. Ich 
glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung und 
Wien möglich und wünschenswert ist, eine Verständigung, die — wie JIch 
Dir schon telegraphierte — Meine Regierung mit allen Kräften zu fördern 
bemüht ist. Natürlich würden militärische Maßnahmen Rußlands, welche 
Oesterreich-Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück beschleunigen, 
das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden auch meine Stellung 
als Vermittler, die Jch — auf Deinen Appell an Meine Freundschaft und 
Hilfe — bereitwillig angenommen habe, untergraben. Wilhelm.“ 
4. Der Kaiser an den Zaren (30. Juli 10°5 nachts): „Mein 
Botschafter ist angewiesen, Deine Regierung auf die Gefahren und schweren 
Konsequenzen einer Mobilisation hin zuweisen; das gleiche habe Ich Dir in 
Meinem letzten Telegramm gesagt. Oesterreich-Ungarn hat nur gegen Serbien 
mobilisiert, und zwar nur einen Teil seiner Armee. Wenn Rußland, wie 
es jent nach Deiner und Deiner Regierung Mitteilung der Fall ist, gegen 
Oesterreich Ungarn mobil macht, so wird die Vermittlerrolle, mit der Du 
Mich in freundschaftlicher Weise betrautest und die Ich auf Deine aus- 
drückliche Bitte angenommen habe, gefährdet, wenn nicht unmöglich gemacht. 
Die ganze Schwere der Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, sie 
haben die Verantwortung für Krieg oder Frieden zu tragen. 
Wilhelm.“ 
· 5. Der Zar an den Kaiser (30. Juli 120 nachm.): „Ich danke 
Dir von Herzen für Deine rasche Antwort. Ich entsende heute abend
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.