Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

386 Das Detsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 4.) 
Kaltblütigkeit der Heeres- und Marineleitung verbürgen uns den Sieg in 
dem Kampfe, den wir mit dem Bewußtsein der Gerechtigkeit unserer Sache 
führen zur Verteidigung der Ehre und Größe unseres Vaterlandes. (Leb- 
hafter Beifall und Händeklatschen auf allen Seiten des Hauses und auf 
den Tribünen.) 
Die erste Sitzung wird geschlossen und um 5 Uhr nachmittags eine 
zweite anberaumt. In dieser soll über die Bewilligung eines Kriegs- 
kredits in Höhe von fünf Milliarden Mark Beschluß gefaßt werden. 
Hierzu gibt nur der Abg. Haase (Soz.) im Auftrag seiner Fraktion 
folgende Erklärung ab: Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen 
der imperialistischen Politik, durch welche eine Aera des Wettrüstens herbei- 
geführt wurde und die Gegensätze zwischen den Völkern sich verschärften, 
sind wie eine Sturmflut über Europa hereingebrochen. Die Verantwortung 
hierfür fällt den Trägern dieser Politik zu, wir lehnen sie ab. Die Sozial- 
demokratie hat diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft, 
und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch machtvolle Kund- 
gebungen in allen Ländern, namentlich im innigen Einvernehmen mit den 
französischen Brüdern für Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt. Ihre 
Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen 
Tatsache des Krieges, uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. 
Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern 
über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel. 
Nun haben wir zu denken an die Millionen Volksgenossen, die ohne ihre 
Schuld in dieses Verhängnis hineingerissen sind. Sie werden von den 
Verheerungen des Krieges am schwersten getroffen. Unsere heißen Wünsche 
begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Brüder ohne Unterschied der 
Partei. (Lebhafter Beifall aller Fraktionen.) Wir denken auch an die Mütter, 
die ihre Söhne hergeben müssen, an die Frauen und Kinder, die ihres 
Ernährers beraubt sind, denen zu der Angst um ihre Lieben die Schrecken 
des Hungers drohen. Zu ihnen werden sich bald Zehntausende verwundeter 
und verstümmelter Kämpfer gesellen. Ihnen allen beizustehen, ihr Schick- 
sal zu erleichtern, diese unermeßliche Not zu lindern, erachten wir als 
zwingende Pflicht. Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei 
einem Siege des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der 
Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. 
Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres 
eigenen Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont 
haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich. 
(Lebhafte Beifallskundgebungen.) Wir fühlen uns dabei im Einklang mit 
der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständig- 
keit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir in Ueberein- 
stimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen. Wir fordern, daß 
dem Kriege, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner 
zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der 
die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht. Wir fordern dies nicht 
nur im Interesse der von uns stets verfochtenen internationalen Solidarität, 
sondern auch im Interesse des deutschen Volkes. Wir hoffen, daß die 
grausame Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abschen vor dem 
Kriege wecken und sie für das Ideal des Sozialismus und des Völker- 
friedens gewinnen wird. Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir 
die geforderten Kredite. (Lebhafter Beifall.) 
Darauf wurden die vorgelegten Gesetzentwürfe ohne weitere Debatte 
einstimmig genehmigt. Nach einem Schlußwort des Präsidenten Dr. Kaempf 
ergreift Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg nochmals das Wort:
	        
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