12 Das Vesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 10.)
Die Entwicklung der Verhältnisse hat diese Disparität der parlamentarischen
Zustände im Reich und in Preußen immer mehr verschärft. Die Stellung
der Regierung, die mit beiden Parlamenten zu arbeiten hat, ist damit
immer schwieriger geworden. Der fortgeschrittene Liberalismus will be-
kanntlich das Problem dadurch lösen, daß die parlamentarischen Zustände
in Preußen denen im Reich gleichgemacht werden. M. H., das ist ein ab-
solut ungangbarer Weg. Die innere Struktur Preußens wird von der des
Reichs immer verschieden sein und bleiben müssen. Die auf die breiten
Volksmassen gestellte Entwicklung im Reich bedarf des preußischen Staates,
der, aufgebaut auf ein festes militärisches Fundament und auf die unlös-
liche Zusammengehörigkeit des gesamten Volkes mit der Dynastie, für alle
Wechselfälle den nötigen und starken Rückhalt bietet. Dieser geschichtliche
Beruf Preußens ist heute, ist auch in Jahrzehnten nicht überlebt, und kein
preußischer Staatsmann wird sich bereit finden, ihn dem Andrange demo-
kratischer Tendenzen aufzuopfern. (Lebhaftes Bravo.) Ich will diesen Ge-
danken nicht bis ins einzelne fortführen; ich muß ohnehin um Entschuldi-
gung bitten, daß ich in historische Erörterungen geraten bin. Die auf wissen-
schaftliche und staatsrechtliche Erörterungen gestellten Ausführungen des
Grafen Yorck haben mich wider Willen auf dieses Gebiet gelockt. Wenn ich
nun zu den praktischen Ausführungen des Grafen Yorck übergehe, so spricht
Ihre Resolution die Besorgnis und den Vorwurf aus, daß die staatsrecht-
lichen Verhältnisse im Reiche zuungunsten der Einzelstaaten verschoben
worden seien. Ich will einzelne Punkte von dem berühren, was Herr Graf
VNorck in diesem Zusammenhang ausgeführt hat. Ich will auf den Vorwurf
in der Vergangenheit, wie Einführung der Reichstagsdiäten nicht eingehen, ich
nehme an, daß es ein exemplifikatorischer Hinweis gewesen sein soll. Auch über
die von Herrn Grafen VYorck angezogene Aeußerung des Staatssekretärs des
Innern bezüglich des Wohngesetzes will ich mich nicht des Näheren äußern.
Wenn diese Aeußerung dahin verstanden worden ist, als hätte sie eine
Drohung gegen Preußen sein sollen, so ergibt sich diese Ansicht als falsch
schon daraus, daß tatsächlich damals im preußischen Staatsministerium die
Ausarbeitung eines Wohngesetzes schon beschlossen war. Ueber die Steuer-
gesetzgebung des Reiches im vergangenen Jahre hat sich Graf Yorck nur
obiter geäußert. Er hat dabei davon gesprochen, daß bei jener Gelegenheit
die Regierung eine Kapitulation eingegangen wäre vor dem Reichstag.
Dieser Ausdruck findet die Zustimmung des Hauses. Ich muß gegen ihn
Verwahrung einlegen. Aber wenn ich mich ausgiebig zu ihm äußern sollte,
so müßte ich zurückgehen auf die Geschichte der Reichsfinanzen bis 1906,
auf die erstmalige Einführung der Erbsteuern in die Reichssteuern, auf die
Vorgänge im Jahre 1909, und weiter auf die Vorgänge im Reiche in den
Jahren 1912 und 1913 zurückgreifen, kurz ich müßte eine sehr ausführliche
Darstellung der gesamten Entwicklung geben, die schließlich, das will ich
hier offen bekennen — ich habe es auch im Reichstage getan — zu einer
Anspannung der Besitzsteuern zugunsten des Reichs geführt hat, die auch
ich bedaure. Ich glaube aber, daß es zweckmäßiger sein würde, über diesen
Umstand einmal in separato zu sprechen, und möchte deshalb heute darauf
verzichten, nähere Ausführungen dazu zu machen. In den Ausführungen
des Herrn Grafen Norck, auf die ich jetzt eingehen will, haben eine große
Rolle gespielt die Intentionen, die der Reichstag seinerzeit gezeigt hat. Er
hat von den Resolnutionen gesprochen anläßlich der Wehrvorlage im Reichs-
lag, er hat allerdings dabei auch getadelt, daß von seiten des damaligen
Kriegsministers entgegenkommende Erklärungen abgegeben worden seien.
Ich kann Vorwürfe gegen die verbündeten Regierungen doch nur gelten
lassen, soweit die Regierungen auf Resolutionen des Reichstags tatsächlich