16 DB#s Betsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.)
ist sie nicht spruchreif. Ihre praktische Durchführung durch das Reich halte
ich für absehbare Zeit für unmöglich. M. H., der Herr Vorredner hat mir
an einer längeren Stelle seiner Rede Vorwürfe der Passivität gemacht in
verschiedener Beziehung: gegenüber der Sozialdemokratie, gegenüber den
Zuständen an den Grenzen des Reiches, bezüglich meiner Haltung zum
Reichstag usw. Ueber meine Haltung zum Reichstage habe ich am vorigen
Sonnabend im Herrenhause gesprochen. Gegen allgemein gehaltene Vor-
würfe der Passivität lege ich Verwahrung ein. Solche Vorwürfe müßten
im einzelnen begründet werden. Ich gehe deshalb nur auf diejenigen Aus-
führungen des Vorredners ein, in denen er einen Beweis für die Vor-
würfe zu führen gesucht hat. Das ist seine Kritik an der Reichssteuer-
gesetzgebung des vorigen Jahres. M. H., daß die Vermögenszuwachs-
steuer eine Last ist, die von den Einzelstaaten schwer, sehr schwer zu
tragen ist, darüber besteht wohl nirgends eine Meinungsverschiedenheit. Die
Frage ist nur die, ob das Reich auf andere Weise seinen zwingenden Geld-
bedarf decken konnte. M. H., die reinliche Scheidung zwischen den Finanzen
des Reiches und denen der Einzelstaaten war gewiß ein sehr viel glücklicherer
Zustand. Die Grenzlinie ist verwischt worden, als im Jahre 1906 Reichs-
erbschaftssteunern eingeführt wurden. Auf eine retrospektive Kritik dieses
Schrittes, auf eine Würdigung der Gründe, die die verbündeten Regierungen
damals zu dieser Maßregel bewogen haben, gehe ich nicht ein. Es liegt
mir nur daran, diejenigen Herren, die so scharse Kritik an den Vorgängen
des Jahres 1913 üben, auf die geschichtliche Entwicklung der Dinge auf-
merksam zu machen, die zu der Situation von 1913 geführt hat. Dann,
m. H., kam das Jahr 1908°·1909. Bei dem außergewöhnlich hohen Geld-
bedarf des Reiches glaubten die verbündeten Regierungen, die erforderlichen
Mittel nicht lediglich aus indirekten Steuern herausholen zu können, son-
dern den Besitz treffen zu müssen, und zwar auf demselben Gebiete, das
bereits im Jahre 1906 angeschnitten worden war. Die von den verbündeten
Regierungen vorgelegte Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf Deszendenten
und Aszendenten fand keine Annahme im Reichstage. Ich habe diesen
Wendepunkt der Dinge immer für einen verhängmisvollen gehalten. Auch
hier, m. H., enthalte ich mich jeglicher Kritik. Die Parteien mögen noch
so verschieden die Besteuerung des Kindeserbes beurteilen — und man
kann in dieser Beziehung unzweifelhaft sehr verschiedener Ansicht sein —,
an der Tatsache kommen wir nicht vorbei, daß die Ablehnung der Erb-
schaftsstener den Andrang auf Reichsbesitzsteuern verstärkt und leider zu-
gleich verbittert hat. M. H., diesem Andrang haben sich doch auch die
Nonservativen im Reichstage nicht entzogen. Ich erinnere an die Worte,
die Herr Abg. Dr. v. Heydebrand am 9. November 1911 gesprochen hat.
Damals sagte der Herr Abg. Dr. v. Heydebrand: M. H., das habe ich hier
im Namen meiner sämtlichen politischen Freunde zu erklären, daß wir
bereit sind, wenn die Stunde und das Land und unsere Ehre es fordert,
nicht bloß die Opfer zu bringen an Blut, sondern auch an Gut. Und auf
einen Zuruf von der linken Seite fuhr Dr. v. Heydebrand fort: Gewiß!?
Und wenn es von uns gefordert wird und die nötigen Einnahmequellen
nicht vorliegen, sind wir auch bereit, das Vermögen der Besitzenden auf
den Altar des Vaterlandes zu legen. Aber es soll das Vermögen der
Lebenden sein, nicht das der Toten. Glauben Sie, daß ich das ebenso gut
weiß wie Sie, daß man auch wegen der Erbschaftssteuer verschiedener Mei-
nung sein kann. Aber der Meinung sind wir, daß, nachdem wir gesehen
haben, daß zwei Jahre lang hier eine Kluft sich aufgetan hat zwischen der
bürgerlichen Gesellschaft und es zu einem Streit gekommen ist, durch den
die bürgerliche Gesellschaft gespalten war von einem Ende zum andern zum