Das Dentsqhhe Reith und seine einzelnen Glieder. (Dezember 3. 4) 441
Der Vorstand der Fraktion stellt darin fest: „daß der Genosse
Karl Liebknecht entgegen dem alten Brauch der Fraktion, der durch einen
ausdrücklichen Beschluß für den vorliegenden Fall erneuert wurde, gegen die
Kriegskreditvorlage gestimmt hat. Der Vorstand bedauert diesen Bruch der
Disziplin, der die Fraktion noch beschäftigen wird, aufs tiefste.“ — Der
„Vorwärts“ bemerkt dazu: Der Brauch der Fraktion bei den Abstimmungen
besteht darin, daß entgegen dem Fraktionsbeschluß nicht gestimmt werden
darf; den einzelnen Fraktionsmitgliedern steht frei, den Saal zu verlassen,
ohne daß es den Charakter einer Demonstration annehmen darf.
3. Dezember. (Reichstag.) Die „Freie Kommission" schließt
ihre Tätigkeit ab, nachdem sie an Hand der dem Reichstag vor-
gelegten Denkschrift die durch den Krieg angeregten Fragen sozialer,
wirtschaftlicher und innerpolitischer Art beraten hat.
4. Dezember. Der deutsche Botschafter in Rom, Herr v. Flotow,
legt aus Gesundheitsrücksichten die Geschäfte der Botschaft vorläufig
nieder. Mit ihrer Leitung wird in außerordentlicher Sendung der
frühere Reichskanzler Fürst v. Bülow betraut.
Diese Entscheidung wird im Reich überall mit besonderer Genugtuung
begrüßt. Auch fast sämtliche Blätter Oesterreich-Ungarns würdigen ihre
Bedeutung. Ein Teil der italienischen Presse verhehlt nicht den Eindruck,
den die Wahl dieser Persönlichkeit zum Vertreter Deutschlands in Italien
gemacht hat. Um so mehr bemühen sich freilich die grundsätzlich deutsch-
feindlichen, im Solde Frankreichs und Englands stehenden Blätter, den
Eindruck zu verwischen, indem sie höhnisch betonen: Das Erwartete zu
erreichen, gehe auch über die Kunst des Fürsten Bülow hinaus. Die führen-
den Blätter äußern sich zunächst noch vorsichtig und sympathisch, zum Teil
unter leiser Andeutung der Grenzen der Freundschaft. So schreibt die
„Tribuna“: Die Bedenken und der Widerstand des bedeutenden Mannes
scheinen überwunden zu sein, und er hat zweifellos den außerordentlichen
Auftrag in der Hoffnung angenommen, damit seinem Lande nützen zu
können. Diesem höchsten Interesse kann nicht zum geringsten und in lovaler
Weise auch aufrichtige und herzliche Freundschaft koordiniert sein, die Fürst
Bülow immer für unser Land gehabt hat, an das ihn Familienbande und
alte Gewohnheiten und Sympathien binden. Aber er ist ein Mann von
zu feiner und hoher Intelligenz, um nicht ganz die Delikatesse des jetzigen
Augenblicks zu fühlen und um nicht zu verstehen, welche Grenzen der
diplomatischen Aktion in einem Lande gezogen sind, das die vollkommene
Unabhängigkeit seiner eigenen Gedanken und seines eigenen Willens auf-
rechterhalten will und das nur darin eine Garantie seiner eigenen Bestim-
mung fühlt. Während wir mit diesen Zeilen dem außerordentlichen Bot-
schafter Deutschlands unseren Willkomm bieten, fühlen wir auch die
Verpflichtung, unsere besten Wünsche für die rasche und vollständige
Wiederherstellung des Herrn von Flotow darzubringen. Wir erkennen seinen
großen Takt an und seinen Sinn für Maß und Gleichgewicht, die nicht über-
troffen werden können, sowie seine dauernden freundschaftlichen Maßnahmen,
die er während dieser schwierigen vergangenen Zeit zu treffen wußte und
mit denen er sich die allgemeine Zustimmung und Sympathie erwarb.
4. Dezember. Der „Neichsanzeiger“ veröffentlicht eine Kaiser-
liche Verordnung, wodurch der aus dem Landsturm ersten Auf-