Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

445e Das Dentsthe Reith und seine einzeluen Glieder. (Dezember 23. 21.) 
gerichtet war, aber schon am 29. Juli angcordnet hat. Die Täuschung 
wird dadurch vollendet, daß der die österrreichisch-ungarische Mobilmach ung 
meldende Bericht (Nr. 115) absichtlich vor dem die russische Mobilmachung 
meldenden Bericht (Nr. 118) in das Gelbbuch eingereiht ist. Der franzo 
sische Botschafter Paléologue behanptet in seinem Bericht vom 30. Juli 
(Nr. 103): „Ssasonow sagte dem deutschen Botschafter, um die versöhnlichen 
und friedfertigen Absichten des Zaren zu beweisen, wolle er ihm im Namen 
Seiner Majestät einen neuen Vorschlag machen.“ In Wirklichkeit war der 
Hergang folgender: Als Ssasonow Oesterreich--Ungarns Erklärung, daß es 
die serbische territoriale Integrität nicht antasten werde, als nicht genügend 
bezeichnete, bat ihn Graf Pourtales, um den Faden der Verhandlungen 
nicht abreißen zu lassen, die genaue Formulierung des Mindestmaßes 
der russischen Forderungen an Oesterreich-Ungarn festzusetzen, Pourtales 
riet dabei, durch einige Zugeständnisse einen Vergleich zu ermoglichen. 
Ssasonow schrieb darauf eine Formel auf, die im wesentlichen die alten 
Grussischen Forderungen aufrecht erhielt. Nachdem Pourtales nachdrücklich 
betont hatte, daß er die Annahme dieser Forderungen durch Oesterreich- 
Ungarn für aussichtslos halte, erklärte er sich bereit, die Formel seiner 
Regierung zu übermitteln. Die Behauptung des französischen „Gelbbuches“, 
er hätte die Befürwortung dieser Formel bei seiner Regierung versprochen, 
ist nicht richtig. Interessant ist dabei die aus dem „Gelbbuche“ zu ent- 
nehmende Tatsache (ogl. Nr. 113), daß die englische Regierung durch ihren 
Botschafter darauf hinwirkte, daß Ssasonow seine Formel nachträglich änderte 
und sic für Oesterreich-Ungarn noch unannehmbarer machte. Die Tatsache 
zeigt, daß es der britischen Regierung darauf ankam, einen Vergleich unter 
allen Umständen unmöglich zu machen. — Zur Rechtfertigung der franzö- 
sischen Mobilmachung behauptet Viviani (Gelbbuch S. 127), daß schon 
lange vor der russischen Mobilmachung „am vorigen Mittwoch“ Frhr. 
v. Schön die bevorstehende Verkündigung des „Kriegsgefahrzustandes“ an- 
gekündigt habe. Diese Maßregel sei von Deutschland getroffen worden, 
und unter diesem Deckmantel habe Deutschland sofort mit der eigentlichen 
Mobilmachung begonnen. Auch hier hielt sich das Gelbbuch nicht streng 
an die Tatsachen. Nachdem Deutschland durch seinen Gesandten in Bern 
am 29. Juli die Nachricht erhalten hatte, daß 80000 Mann des französischen 
Friedensstandes an die französische Ostgrenze vorgeschoben waren, bekam 
Frhr. v. Schön den Auftrag, der französischen Regierung zu sagen, daß 
Deutschland zu Schutzmaßregeln gezwungen sein würde, und die „Kriegs. 
gefahr“ werde proklamieren müssen, wenn Frankreich in seinen Kriegsvor 
bereitungen fortfahre. Dieser bedeute zwar keine Mobilmachung und keine 
Einberufung, erhöhe aber immerhin die Spannung, was uns unerwünscht 
sei, da wir fortgesetzt auf die Erhaltung des Friedens hofften. 
23. Dezember. Der Diekont der Reichsbank wird um ein volles 
Prozent auf 5. der Lombardzinsfuß für Darlehen gegen Verpfändung 
von Gffelten und Waren auf 67, herabgesetzt. Der Beschluß des 
Reichsbankdirektoriums wird allgemein als ein Anzeichen gewürdigt, 
daß das deutsche Wirtschaftsleben in normale Bahnen zurückkehrt. 
W. Dezember. (Altena.) LePräs. J. Sperlich, Vertreter 
des Reichstagswahlkreises Glatz-Habelschwerdt, 1. 69 Jahre alt. 
24. Dezember. Zu Generalobersten werden befördert: Freiy. 
v. Falkenhausfen, General der Infanterie, Oberbefehlshaber der
	        
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