Bas Verische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 24.) 445h
Oesterreich-Ungarn auf Deutschlands Vermittlung hin nachgiebig zeigen
sollte, weist Sir Edward Grey den österreichisch-ungarischen Botschafter in
London auf die englische Flottenmobilisation hin (Blaubuch 48), gibt dem
deutschen Botschafter zu verstehen, daß sich auch England an einem Rriege
beteiligen könnte und unterrichtet die Botschafter des Zweibundes sofort
von dieser an die deutsche Adresse gerichteten Warnung, womit der Sieg
der Kriegspartei in Petersburg besiegelt war. Es war das gerade die-
jenige Haltung, die nach der sachverständigen Ansicht des englischen Bot-
schafters Buchanan am ungeeignetsten war, eine gute Stimmung zwischen
den Mächten hervorzurufen.
Unter diesen Schwierigkeiten wird man es als einen besonderen
Erfolg betrachten dürfen, daß es Deutschland gelang, Oesterreich-
Ungarn dem Wunsche Rußlands, in Sonderverhandlungen ein-
zutreten, geneigt zu machen. Hätte Rußland, ohne seinerseits mili-
tärische Maßnahmen zu treffen, die Verhandlungen mit Oesterreich-Ungarn,
das nur gegen Serbien mobilisiert hatte, im Gang gehalten, so hätte die
volle Aussicht auf Erhaltung des Weltfriedeus bestanden. Statt dessen
mobiliserte Rußland gegen Oesterreich-Ungarn, wobei Ssasonow sich
völlig klar darüber war (vgl. Blaubuch Nr. 78), daß damit alle direkten Ver-
ständigungen mit Oesterreich-Ungarn hinfielen. Das mühsame Ergebnis der
deutschen Vermittlungsverhandlungen war damit mit einem Schlage erledigt.
Was geschah nun seitens der Ententenmächte, um den Frieden in
dieser letzten Stunde zu erhalten? Sir Edward Grey nahm seinen Konferenz-
vorschlag wieder auf. Auch nach Ansicht des Herrn Ssasonow war jetzt
der geeignete Zeitpunst gekommen, um unter dem Druck der russischen
Mobilisation gegen Oesterreich-Ungarn den alten englischen Gedanken der
Konversation zu Vieren wieder zu empfehlen. (Deutsches Weißbuch S. 7.)
Graf Pourtalès ließ den Minister nicht im Zweifel darüber, daß nach
seiner Auffassung die Ententemächte hiermit dasselbe von Oesterreich-Ungarn
verlangten, was sie Serbien nicht hatten zumuten wollen, nämlich unter
militärischem Druck nachzugeben. Unter solchen Umständen konnte Deutsch-
land und Oesterreich-Ungarn der Konferenzgedanke unmöglich sympathisch
sein. Trotzdem erklärte Deutschland in London, daß es im Grundsatz den
Vorschlag einer Intervention der vier Mächte annehme, ihm widerstrebe
lediglich die Form einer Konferenz. Gleichzeitig drang der deutsche Bot-
schafter in Petersburg in Ssasonow, auch seinerseits Konzessionen zu machen,
um ein Kompromiß zu ermöglichen. Daß diese Bemühungen fruchtlos
blieben, ist bekannt. Rußland selbst schien an der weiteren Vermitte-
lungstätigkeit Deutschlands in Wien, die bis zur letzten Stunde
weitergeführt wurde, nichts mehr zu liegen. Es ordnete in der Nacht
vom 30. zum 31. Juli die Mobilisation seiner gesamten Streitkräfte an, was
die Mobilisation Deutschlands und dessen spätere Kriegserklärung zur
Folge haben mußte.
Angesichts dieses Ganges der Ereignisse ist es nicht verständlich, wie
ein verantwortlicher Staatsmann den Mut finden kann, zu behaupten, daß
Deutschland, das sich der russischen Mobilisation, den militärischen Vor-
bereitungen Frankreichs und der Mobilisierung der englischen Flotte gegen-
über befand, noch am 31. Juli durch die Annahme einer unter den er-
hobenen Waffen der Ententemächte abzuhaltenden Konferenz den Frieden
hätte retten können. Es war nicht das bis zur letzten Stunde in Wien
vermittelnde Deutschland, das die Idee der Vermittlung der vier Mächte
unmöglich gemacht hat, es waren die militärischen Maßnahmen der Entente-
mächte, die Friedensworte im Munde führten, während sie zum KRriege
entschlossen waren.