Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

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Es sprechen noch die Abgg. Kiener (Lothr. Block) und Emmel (S.), 
worauf der Staatssekretär Freiherr Zorn von Bulach nochmals, wieder- 
dolt von Zwischenrufen unterbrochen, den Standpunkt der Regierung dar- 
legt. Er bestreitet das Bestehen einer Nebenregierung und betont, daß die 
Regierung nicht das Recht gehabt hätte, sich in die Militärangelegenheiten 
einzumischen. Die Regierung sei stets bestrebt gewesen, die Interessen des 
Landes zu schützen. 
15. Januar. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ bringt 
zu den Urteilen des Straßburger Kriegsgerichtes (s. 10. Januar) 
folgende offiziöse Feststellung: 
Aus Straßburg wird gemeldet, daß der zuständige Gerichtsherr in 
dem gegen den Leutnant von Forstner anhängigen Strafverfahren auf die 
Einlegung des Rechtsmittels der Revision gegen das freisprechende Urteil 
des Oberkriegsgerichts verzichtet hat. Für diese Entschließung des Gerichts- 
derrn war ohne Zweifel ausschlaggebend, daß nach den tatsächlichen Fest- 
stellungen des Oberkriegsgerichts der Angeklagte einen drohenden tätlichen 
Angriff der auf seinen Befehl verhafteten Person abgewehrt und sich dabei 
innerhalb der erlaubten Grenzen der Notwehr gehalten hat. Da eine Nach- 
vrüfung der Entscheidung des Oberkriegsgerichts in Bezug auf die Würdi- 
gung des Ergebnisses der Beweisaufnahme dem Revisionsgericht nach dem 
Gesetz versagt ist, mußte das Rechtsmittel der Revision als aussichtslos 
erscheinen. Wie wir weiter hören, wird auch in dem Verfahren gegen den 
Obersten von Reuter der Gerichtsherr auf Einlegung der Berufung gegen 
das freisprechende kriegsgerichtliche Urteil verzichten. Für diesen Verzicht 
mag gesprochen haben, daß die eingehende Beweisaufnahme vor dem Kriegs- 
gericht einwandsfrei den guten Glauben des Angeklagten an eine ihm nach 
seinen Dienstvorschriften zustehende Berechtigung zu dem Einschreiten des 
Militärs ergeben hat, und daß er deshalb nach anerkannten Rechtsgrund- 
sätzen straflos bleiben muß. Es ist richtig, daß in der Dienstvorschrift über 
den Waffengebrauch des Militärs von 1899 Teile der Allerhöchsten Kabi- 
nettsorder von 1820 verwertet worden sind, und zwar um das Notwehr- 
und Notstandsrecht des Militärs sowie die Fälle, in denen die Anwendung 
des Militärhoheitsrechts in Frage kommt, darzulegen. Aus ihrer Ver- 
wertung, die nach eingehenden Verhandlungen der beteiligten Ministerien 
im Jahre 1851 in allen seitdem erschienenen und veröffentlichten Neudrucken 
der Vorschrift gleichlautend erfolgt ist, haben sich bis jetzt keinerlei praktische 
Unzuträglichkeiten ergeben. Nachdem sich indessen bei den jüngsten Ereig- 
nissen in Zabern Zweifel daran ergeben haben, ob die Vorschrift von 1899 
die Befugnisse der Zivil- und Militärbehörden richtig abgrenze, ist von 
Seiner Majestät dem Kaiser und König eine Nachprüfung der Dienst- 
vorschrift angeordnet worden. 
15. Januar. (Elsaß-Lothringen.) Die Zweite Kammer be- 
endet die Besprechung der Zaberninterpellationen und nimmt die 
am 14. eingebrachte Resolution (s. S. 25 a) einstimmig an. 
In der Debatte führt Abg. Wolf (I.) u. a. aus: Es sei eine völlig 
unhaltbare Rechtsauffassung mit Erfolg vertreten worden. Der Freispruch 
des Kriegsgerichts stehe auch in Widerspruch mit den Anschauungen des 
Reichskanzlers, die dieser im Reichstag vertreten habe. Es müsse durch 
eine reichsgesetzliche Bestimmung sichergestellt werden, welche Rechte das 
Militär in unserem bürgerlichen Rechtsstaat besitze. Werde gegen die Kriegs- 
gerichtsurteile keine Berufung eingelegt, so würde dies einen Bruch des
	        
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