Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

Das Beische Reich unb seine einzelnen Glieder. (Januar 16.) 27 
aufzunehmen. „An die heranwachsende Jugend treten in moralischer und 
sonstiger Beziehung so große Versuchungen heran, daß man sie nicht früh 
genug davor schützen kann. Ich glaube, das Staatsministerium hat alle 
Veranlassung, dem Gegenstand erneut seine Aufmerksamkeit zuzuwenden 
und vielleicht einen einheitlichen Standpunkt in der Sache herzustellen. Es 
wäre mir lieb, wenn der Handelsminister nicht gleich antwortete, sondern 
sich die Sache erst überlegte. Dr. Wiemer hat das Wahlgesetz zum Gegen- 
stand seiner Ausführungen gemacht. Meine politischen Freunde stehen auf 
dem Standpunkt, den der Ministerpräsident und der Minister des Innern 
dieser Tage angenommen haben. Sie sind der Meinung, daß es Sache der 
Regierung ist, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen erachtet, mit einem 
Wahlgesetz vor das Haus zu treten; besondere Eile hat es ja nicht. Man 
muß zwar zugeben, daß das preußische Wahlrecht einiger Berichtigung be- 
darf. Aber es gibt auch noch andere Wahlrechte, die ebenfalls reform- 
bedürftig sind. Die Sozialdemokraten verlangen ja, daß auch die Frauen 
das volle Stimmrecht haben und auch jedes Kind, ich weiß nicht, ich glaube 
von 14 Jahren. Die Geschäfte des Landes sind auch auf Grund dieses 
Bahlrechts immer in der richtigen Weise erledigt worden. (Widerspruch l.) 
Wollen Sie dem widersprechen? Ich habe die Meinung gehabt, daß Sie 
das auch für sich in Anspruch nehmen würden.“ Der Redner spricht sodann 
über das Vorgehen gegen den Polizeipräsidenten v. Jagow, das er un- 
gerechtfertigt findet, und fährt fort: „Wir sind mit der Aeußerung des 
Abg. Dr. Röchling vollkommen einverstanden, daß das Kartell der schaffenden 
Stände, das sich in den letzten Monaten angebahnt hat, ein sehr wichtiger 
Fortschritt auf dem Gebiete der allgemeinen Verständigung ist. Auch wir 
meinen, daß wir damit einen Schritt vorwärts tun. Wir sind nicht so 
einseitig, wie vielfach geglaubt wird. Wir treten nicht nur für die Land- 
wirtschaft ein, wir wissen sehr wohl, daß auch die anderen Erwerbsstände 
dasselbe Recht haben, und wir sind bereit, mit allen diesen zusammen- 
zuarbeiten und gemeinsame Ziele zum Wohle des Vaterlandes zu verfolgen. 
Damit ist auch den Arbeiterinteressen gedient, deren Wohl auch wir im 
Auge haben. Deshalb hat die Arbeiterschaft keinen Grund, sich gegen dieses 
Kartell zu wenden. Zu unserer großen Freude hat Dr. Röchling den Schutz 
der nationalen Arbeit als einen der wichtigsten Gegenstände bezeichnet. Wir 
wollen jedem Erwerbsstande den Schutz zugestehen, der zu seiner Existenz 
notwendig ist. Gewisse Richtungen in der Industrie finden ja nicht unseren 
Beifall. Auch gebe ich zu, daß wir Konservativen, das liegt vielleicht in 
unserer ganzen Entwicklung, nicht immer das richtige Verständnis für die 
Interessen der Industrie gehabt haben. Das haben wir aber inzwischen 
gelernt, wir sind deshalb weit entfernt von einer grundsätzlichen Industrie- 
feindschaft. Wir wollen ihr geben, was sie braucht. Die Caprivischen Handels- 
verträge sind seinerzeit geradezu im Interesse der Industrie abgeschlossen 
worden, und sie haben die Landwirtschaft direkt an den Rand des Abgrunds 
gebracht. Sie wurden damals von den Vertretern der Industrie verlangt. 
Dr. Miquel, der doch auch ein nationalliberaler Mann war, hat später selbst 
einmal gesagt, daß es höchste Zeit wäre, daß nun endlich auch einmal die 
Landwirtschaft herankäme. Während dieser Zeit hat die Industrie ihr Fett 
abgeschöpft. Es ist zu verstehen, wenn sich damals in agrarischen Kreisen 
ein gewisser Mißmut geltend gemacht hat. Doch lassen wir das Vergangene 
begraben sein. Wir stehen jetzt auf demselben Boden, und ich hoffe, daß 
uns die wirtschaftlichen RKaunief, die uns bevorstehen, nicht trennen werden. 
In der braunschweigischen Frage haben meine Freunde für den Wunsch 
des braunschweigischen Landes, wieder ein Mitglied des angestammten 
Herrscherhauses auf dem Thron zu sehen, von unserer monarchischen Staats- 
 
	        
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