30 Das Dentsche Reit und seine einzelnen Glieder. (Januar 15.)
Erreichen unserer Ziele auf wirtschaftlichem Gebiete es nötig haben, Hand
in Hand mit anderen Erwerbsständen zu arbeiten. Wir sind aber auch
davon überzeugt, daß die Grundlagen des Reiches letzten Endes auf der
Grundlage Preußens ruhen. Trotz alledem, was wir ausgesprochen haben,
so bin ich doch überzeugt, daß, wenn sowohl die preußische Staatsregierung
wie die Reichsregierung Wege wandeln, die Preußen und unserm Deutschen
Reiche dienlich sind, sie die Unterstützung meiner politischen Freunde haben
werden.“ (Lebhafter Beifall rechts und Händeklatschen.)
Abg. Dr. Bell (Z.): „Ich werde mich bemühen, mit derselben Ruhe,
aber auch mit derselben Entschiedenheit, mit der der Abg. v. Heydebrand seinen
Standpunkt betont hat, auch den unfrigen zu vertreten. Ich lege besonders
Wert darauf, namens meiner Fraktionsfreunde zu erklären, daß wir unsere
gesamte Politik im Reichstage und auch im Landtage weder zuliebe noch
zuleide des jeweiligen Reichskanzlers und Ministerpräsidenten einrichten,
sondern daß wir uns dabei lediglich von unserer Pflicht und Ueberzeugung
leiten lassen. Der Abg. Hirsch hat sehr richtig und sehr bezeichnend dar-
gelegt, daß nach der gesamten Konstellation des preußischen Abgeordneten-
hauses die Bestrebungen auf Einführung des Reichstagswahlrechts keine
Aussicht auf Erfolg haben. Er hätte noch hinzufügen können, um diese
Aussichtslosigkeit näher zu präzisieren, daß die Haltung des Herrenhauses
wie auch der Regierung in dieser Frage klar und durchaus ablehnend ist.
Aber daraus sollte man auch die nötigen Konsequenzen ziehen. Mir ist es
vollkommen unverständlich, daß hier immer Anträge auf Reform des Drei-
klassenwahlrechts eingebracht werden, die selbst nach Ansicht der Antragsteller
vollständig aussichtslos sind. Unsere Stellung in der Wahlrechtsfrage ist die:
wir erstreben eine gesunde Verbesserung des Wahlrechts. Sache der Re-
gierung ist es, eine Wahlrechtsvorlage einzubringen. Die Aussichten hier
auf eine Verständigung unter den bürgerlichen Parteien scheinen allerdings
nach den bisherigen Ergebnissen und auch nach den gestellten Anträgen
wenig günstig. Die Vermögenszuwachssteuer hat einen sehr breiten Raum
in der Etatsberatung des preußischen Abgeordnetenhauses eingenommen.
Mein Fraktionsfreund, der Abg. Herold, hat ja den Standpunkt der Reichs-
tagsfraktion des Zentrums in dieser Frage ausführlich dargelegt. Danach
waren die Meinungen meiner Fraktionsfreunde in dieser Frage geteilt. Mit
dem größeren Teil meiner Fraktion habe ich für die Vermögenszuwachs-
steuer gestimmt. Ich aber lege Wert darauf, zu erklären, daß ich das nur
schweren Herzens getan habe, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe,
denn der Verabschiedung des Besisteuergesetzes in dieser Form standen
mancherlei Bedenken entgegen. Der Abg. Herold hat auch die Ueberzeugung
des zweiten Teiles unserer Fraktionsfreunde in diesem Punkte dargelegt,
die dahin ging, daß die Regierungsvorlage hätte durchgebracht werden
können, wenn sie von den verbündeten Regierungen nur energisch verteidigt
worden wäre. Meine übrigen Fraktionsfreunde teilen aber mit mir die
Ansicht, daß, wie sich die Dinge zugespitzt hatten, ein anderer Ausweg nicht
gesunden werden konnte.“ Der Redner äußert sich sympathisch über das
geplante Kartell der schaffenden Stände. „MWenn dieses gegenseitige Sich-
verstehenlernen möglich würde, so würden wir uns manchen Streit ersparen
und die sozialpolitischen Aufgaben besser lösen können. Jedenfalls darf
dieses Kartell nicht antisozial wirken. Die Aufrechterhaltung unserer be-
währten Wirtschaftspolitik wird dem Vaterlande zum Segen gereichen. Ein
unerfreuliches Thema ist die schon von meinen Freunden beklagte Disparität
in der Besetzung der höheren Beamtenstellen zuungunsten der Katholiken.
Es gibt im ganzen preußischen Staate eine schreiende Imparität bei den
höheren und mittleren Beamten. Der katholische Volksteil kann sich diese