Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Erste Hälfte. (55a)

50 Das Denisqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 
und Handel eine Reihe von Ergänzungen des Tarisschemas nahelegt. So 
wünschenswert diese Verbesserungen sind, so handelt es sich dabei doch über- 
all um Einzelheiten. Im großen und ganzen entspricht der gegenwärtige 
Zustand durchaus den Bedürfnissen der deutschen Volkswirtschaft. Das 
Ziel unseres Strebens muß es sein, die bisherige Wirtschafts- und Handels- 
politik in gesicherten Bahnen fortzuführen; soweit sich zurzeit übersehen 
läßt, wird für uns keine Veranlassung vorliegen, durch Kündigung der 
Tarifverträge von 1906 zur Neuregelung der Handelsbeziehungen den Anstoß 
zu geben. Es besteht daher einstweilen nicht die Absicht, dem Reichstag 
eine Novelle zum Zolltarif vorzulegen. Wenn die Vertragsstaaten sich mit 
uns auf einfache Verlängerung der geltenden Handelsverträge einigen sollten, 
so würde sich eine umfassende Tarifnovelle überhaupt erübrigen. Wird da- 
gegen von ihrer Seite das Vertragsverhältnis gekündigt oder an ihren 
Tarifen eine Aenderung vorgenommen, die unsere Ausfuhr berührt, dann 
werden die verbündeten Regierungen nicht zögern, diejenigen Maßnahmen 
zu treffen, die erforderlich sind, um die wirtschaftlichen Interessen Deutsch- 
lands zu verteidigen, Angriffe auf den derzeitigen handelspolitischen Besitz- 
stand abzuwehren und die Verbesserungen des gelienden Tarifes, die als 
notwendig erkannt wurden, durchzusetzen. Sie sind sich des Ernstes dieser 
Aufgabe voll bewußt. Die beteiligten Verwaltungen sind bereits seit längerer 
Zeit damit befaßt, die in Betracht kommenden Verhältnisse einer eingehenden 
Prüfung zu unterwerfen unter Würdigung des vorliegenden Materials 
sowie der Anregungen aus den Kreisen unserer Erwerbsstände und ihrer 
Organisationen. Dieses Material zu ergänzen und im Benehmen mit den 
beteiligten Kreisen auf dem laufenden zu erhalten, wird die andauernde 
Sorge der beteiligten Dienststellen des Reiches und der Bundesregierungen 
bleiben. Dabei möchte ich ausdrücklich hervorheben, daß die Reichs- und die 
preußische Verwaltung und wohl auch die Verwaltungen der übrigen Bundes- 
staaten in Verfolg ihrer bisherigen Gepflogenheit auch weiterhin bemüht 
sein werden, die einschlägigen Pragen rechtzeitig einer Erörterung mit 
Sachverständigen zu unterziehen, und daß gegebenenfalls auch der Wirt- 
schaftliche Ausschuß rechtzeitig mit der Angelegenheit befaßt wird. Nun 
noch ein kurzes Wort. Die Sozialpolitik und die Wirtschaftspolitik ist 
annähernd bei uns zu gleicher Zeit entstanden und auch auf demselben 
Boden gewachsen. Die Fortführung der einen erfordert die Aufrechterhaltung 
der anderen. Beide haben sich bewährt. Und beide in den richtigen Be- 
ziehungen zueinander zu erhalten, das wird daher immer unsere Aufgabe 
sein."“ (Lebhafter Beifall.) 
Das „Wiener Fremdenblatt" schreibt zu dieser Rede: „Die Rede 
des Staatssekretärs muß als erste offizielle Enunziation über die Erneuerung 
des Systems der mitteleuropäischen Handelsverträge als ein überaus be- 
merkenswertes Signal zur öffentlichen Diskussion über die künftigen Handels- 
verträge bezeichnet werden. Die Aeußerung Delbrücks, die namens eines so 
machtvollen wirtschaftlichen Faktors wie das deutsche Wirtschaftsgebiet getan 
worden ist, wird unter allen Umständen stets als eine höchst wichtige Kund- 
gebung für die Stabilisierung der handelspolitischen Beziehungen Geltung 
haben. Es wird Sache der Korporationen der Monarchie sein, zu dieser 
Kundgebung der deutschen Reichsregierung Stellung zu nehmen. Es wird 
ihre Aufgabe sein, im einzelnen zu prüfen, ob es sich mit den Interessen 
unserer Volkswirtschaft vereinbaren lasse, daß sie auf die Wünsche des 
Deutschen Reiches eingehe, und da noch zwei Jahre bis zur Kündigung 
der Handelsverträge Zeit ist, so ist ja ein genügend großer Spielraum für 
die höchst wichtige Prüfung der gegebenen Verhältnisse vorhanden. Die 
deutsche Reichsregierung scheint es vorziehen zu wollen, möglichst eine bloße
	        
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