52 Das Peische Reich und seine rinzelnen Glieder. (Januar 23.)
zu verzichten. Er hat nicht nach den Prinzipien der Gerechtigkeit gehandelt,
sondern nach dem Grundsatz, das zu tun, was für den Staat nüctxzlich ist.
Beim Militärgericht urteilen nicht Richter über Angeklagte, sondern Kameraden
über Kameraden in eigener Sache. Das Straßburger Urteil beweist gar nichts
über Schuld oder Nichtschuld der Offiziere, es beweist einzig und allein die
Unzulänglichkeit der Militärgerichte. Wir verlangen daher ihre Abschaffung.
Der Anklagevertreter hat sich als Verteidiger gezeigt, und der Präsident
telegraphiert an v. Jagow und v. Oldenburg, über das Urteil Meldung
erstattend. Wo sonst wird dem Angeklagten vom Gerichtsherrn gratuliert
zu seiner Freisprechung? Zivilzeugen hat man überhaupt nicht zugelassen;
so kommen wir zu einer Zweiteilung der Zeugen, in uniformtragende und
nichtuniformierte. Während der Beratung des Gesetzes über den Belagerungs-
zustand in den 50er Jahren hat kein Mensch daran gedacht, daß die Rabinetts-
order von 1820 noch gesetzliche Gültigkeit habe. Die Erklärung, daß diese
Kabinettsorder noch zu Recht bestehe, ist das Gegengeschenk, das die Regierung
zur Jahrhundertfeier Ihnen macht für Ihre Bewilligung des Wehrbeitrages,
und nicht mit Unrecht. Für Elsaß-Lothringen hat diese Kabinettsorder aber
auf keinen Fall Gültigkeit. Selbst auf Grund dieser ungültigen Order hätte
eine Bestrafung der Offiziere erfolgen müssen: das Merkmal von inneren
Unruhen war am 28. November auf keinen Fall gegeben. Jetzt wird mit
Oberst Reuter ein förmlicher Kultus geübt, der einen Bürger mit „Lump“
beschimpfte, während er die harmloseste Bemerkung einem Leutnäntchen
gegenüber mit Blutvergießen rächen wollte. Die Postbehörde verdächtigte
er grundlos des Amtsverbrechens. An die Spitze der Renterverehrer hat sich
kein Geringerer gesetzt als Herr Dr. jur. v. Jagow, der in ein schwebendes
Verfahren eingriff. Auch der Kronprinz hat sich in diese Angelegenheit ein-
gemischt, vorausgesetzt, daß die in der Presse angegebenen Depeschen richtig
sind. Ich erinnere an das Schriftstück des Kronprinzen, in dem er von
seinen geliebten Husaren Abschied nimmt, von dem gebrochenen Herzen usw.“
(Große Unruhe, die sich zu ungeheurem Lärm auf der Rechten auswächst.
Ruse: Frechheit!) Präsident Dr. Kaempf rügt die Ausführungen des
Redners, die als Beleidigungen des Kronprinzen ausgefaßt werden könnten.
Abg. Frank fortfahrend: „Ich kann mir nicht denken, daß es eine Be-
leidigung ist, wenn ich den Kronprinzen zitiere. Der „Preußentag“ wollte
als Erzieher für das Volk sich betätigen. Dabei bewies er selber die größte
Zuchtlosigkeit und Unbildung. Ich beglückwünsche den Reichskanzler, daß
dort abgelehnt wurde, ein Telegramm an ihn zu senden. Was wird der
Reichskanzler tun, um das Staatsbürgerrecht zu schützen? Die Vorfälle in
Zabern können sich jederzeit wiederholen. Die Ordensverleihung an Herrn
v. Renter hat nicht beruhigend gewirkt. In dieser Zeit hätte der Reichs-
kan zler eine solche Dekorierung verhindern müssen. Wir bedauern seine
schlaflosen Nächte, aber wir fürchten sehr, daß er das, was er in der Nacht
versäumt, am Tage wieder nachholt. (Stürmische Heiterkeit.) Er sagte, er
würde im Geiste des Preußentums regieren. Mit dieser Bitte um gutes
Wetter wird er bei den Konservativen wenig erreichen. Diese wollen, daß
er den Reichstag zum Teufel jage. Herr v. Heydebrand sagte, sie sollen
doch Erust machen mit der Revolntion, die sie wollen. Die sie wollen,
werden sich die Erlaubnis dazu nicht von ihm holen. Die nichtkonservativen
Parteien sagen, wir wollen keine Verschärfung, wir wollen einem Konflikt
ausweichen. Mir sind aber schon mitten drin im Konflikte. hier heißt es
kämpsen oder sich unterwersen. Die Konservativen werden immer überschätzt.
Die Konservativen haben längst nicht mehr die wirtschaftliche und politische
Bedeutung, welche das Bürgertum hat. Das Häuflein da drüben wird schon
nervöos. Die Konservativen werden schon unter sich uneinig. Herr v. Olden-