Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreißigster Jahrgang. 1914. Zweite Hälfte. (55b)

Greßbritaunien. (April 28.) 533 
und daß es, wie ich höre, dem König unmöglich sein wird, in diesem Jahre 
weitere Staatsbesuche im Ausland zu machen. 
28. April. (Unterhaus.) Verhandlungen über Ulster. 
Austen Chamberlain bringt namens der Opposition eine Reso- 
lution ein, daß mit Rücksicht erstens auf die ernste Natur der Flotten- und 
Heeresbewegungen, die kürzlich von der Regierung gegen Ulster ins Auge 
gefaßt worden seien, zweitens mit Rücksicht auf die Unvollständigkeit und 
Ungenauigkeit in wesentlichen Punkten der Ministererklärungen und drittens 
mit Rücksicht darauf, daß es die Regierung beständig habe daran fehlen 
lassen, der Lage aufrichtig gegenüber zu treten, das Haus der Meinung 
sei, daß eine vollkommene, unparteiische Untersuchung über alle Umstände 
stattfinden solle. Marineminister Churchill erklärt, dies sei das kühnste 
Tadelsvotum und die unverschämteste Forderung einer Untersuchung, die 
jemals vorgekommen seien. Carson und Craig seien eben erst von ihren 
kriegerischen Heldentaten zurückgekommen, um eine gerichtliche Untersuchung 
über die Haltung der Leute zu fordern, die für die Aufrechterhaltung von 
Recht und Ordnung verantwortlich seien. Dies sehe ja einem Tadelsvotum 
von Verbrechern gegen die Polizei ähnlich. Er wünsche es vollkommen klar 
zu stellen, daß die Regierung, wenn es zu einem Aufstande käme, ihn 
niederschlagen würde, und daß sie, wenn ein Bürgerkrieg ausbräche, ihr 
Bestes tun würde, um ihn zu unterdrücken. Es würde aber weder einen 
Aufstand noch einen Bürgerkrieg geben, wenn er nicht durch Ulster herbei- 
geführt würde. Er bitte das Haus, zu versuchen, zu einer besseren Lösung 
zu kommen, und lenke die Blicke des Hauses auf die Wirkung, die seine 
Entschlüsse im Auslande haben würden. In jedem befreundeten Lande 
herrsche Sorge bei der Vorstellung, daß die Macht, welche das europäische 
Gleichgewicht darstelle, zeitweilig erschüttert werden könnte. Natürlich wüßte 
das Ausland nicht, daß im Falle von äußeren Schwierigkeiten oder einer 
von r# kommenden Bedrohung alle inneren Schwierigkeiten verschwinden 
würden. 
W. April. Auf einem von der britisch-deutschen Freundschaft- 
gesellschaft veranstalteten Diner äußern sich Fürst Lichnowsky und 
Sir Frank Lascelles, ehemaliger britischer Botschafter in Berlin, 
über die deutsch-englischen Beziehungen. 
Der deutsche Botschafter äußert u. a.: Wir in Deutschland haben 
stets die Empfindung gehabt, daß Sir Frank uns verstand und mit dem 
Scharfblick seiner Sympathie erkannte, daß unsere Ideale und Aspirationen 
sich nicht im Konflikt mit dem Frieden und dem Glück anderer befinden. 
Die Erhaltung eines guten Einvernehmens unter den Nationen der Welt 
ist anerkanntermaßen das Hauptproblem der Gegenwart, und wir können 
daher unsere Dankbarkeit für Sir Frank Lascelles nicht warm genng aus- 
drücken dafür, daß er seine wohlverdiente Muße der umsichtigen Leitung 
der Bewegung für eine aufrichtige Freundschaft zwischen England und 
Deutschland widmet. Sir Frank Lascelles erwidert, er habe nie an die 
Gefahr eines bevorstehenden oder unvermeidlichen Krieges zwischen England 
und Deutschland geglaubt. Er hielte es vielmehr für unmöglich, daß beide 
Länder miteinander in einen Krieg gerieten, außer wenn sich ein all- 
gemeiner Krieg entwickelte, bei dem Englands Interessen es ihm unmöglich 
machten, sich fern zu halten. Aber dies sei ein sehr unwahrscheinlicher Fall 
und werde mit jedem Tage unwahrscheinlicher. Zwischen beiden Ländern 
gäbe es keinen Grund zu einem Zwiste, der nicht durch die gewöhnlichen
	        
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