Beutsches Reich. (Februar 27.—März 2.) 199
Schreiben des Heiligen Baters zum Ausdruck gekommen. Kommt es einmal
zu einer Weltfriedensallianz, dann wird das Institut nicht fehlen dürfen,
dessen Träger sich als servus servorum Dei bezeichnet. Der Heilige Vater
Benedikt hat bisher seine Neutralität im strengsten Wortsinne bewahrt und
wird es weiter tun. Die neue Kriegsanleihe kann bei unserer wirt-
schaftlichen Lage aufgebracht werden. Es ist ein irreführendes Gerede, wenn
gesagt wird, daß wir auf eine Kriegsentschädigung nach dem Grundsatz,
daß jeder seine Last tragen solle, verzichten können. Der Kanzler steht nicht
auf diesem Standpunkt. Beschädigungen, Vermögensverluste müssen von
den Urhebern dieses Krieges ersetzt werden. Die solidarische Haftung der
Urheber sichert uns auch gegen die Zahlungsunfähigkeit eines Feindes.
Gerade in der Kriegsentschädigung liegt eine wesentliche Garantie für die
Erreichung eines dauernden Friedens. Frrig ist der Glaube, daß der Krieg
abgekürzt werden könnte, wenn man dem Reiche die Mittel zur Weiter-
führung versagt. Wir werden den Krieg des Geldes wegen nicht verlieren,
ebensowenig wegen der Lebensmittelversorgung. In unserer produktiven
Bevölkerung besteht allerdings ein gewisser Unmut über die Maßnahmen
der Reichsleitung. Man sollte mit solchen Maßnahmen nur vorgehen, wenn
der Erfolg sicher ist. Redner wendet sich dann dem Etat zu, der nur ein
fiktiver ist. Der Etat ist ein treues Spiegelbild unserer wirtschaftlichen
Lage. Im Gesamtwert der Produktion stehen wir ungeachtet der Hemmungen
hinter dem Friedenswert nicht weit zurück. Die Umstellung auf die Friedens-
wirtschaft muß bereits jetzt ins Auge gefaßt werden. Die neuen Steuer-
profekte haben den Vorzug, daß sie einfach in der Erhebung und Veran-
lagung sind. Kohlen- und Frachtsteuern belasten den Konsum und führen
so zu einer Preissteigerung für den gesamten Lebensbedarf. Es muß die
Frage geprüft werden, wie die beiden Steuern nach dem Friedensschluß
auf unsere Industrie dauernd wirken werden. Die Ausweisung eines deutschen
Prälaten durch die italienische Regierung gibt uns Grund, auf die Not-
wendigkeit der Unabhängigkeit des Heiligen Vaters hinzuwirken. Die Frage
der Parität, die auch schon im preußischen Abgeordnetenhause besprochen
worden ist, kann jetzt, wo der Reichskanzler selbst von einer Neuorientierung
sprach, nicht umgangen werden. Es handelt sich hier nicht um einen Streit
um die Futterkrippe, das Entscheidende ist die politische Seite der Frage.
Lloyd George hat die Bemerkung gemacht, zum endgültigen Siege sei noch
mancher breite und reißende Fluß zu überwinden. Das Wort gilt auch
für uns. Das ganze Volk, jeder Mann, jede Frau, jeder Soldat muß mit-
wirken, die Flüsse zu überbrücken. Die Truppen draußen, das Volk in der
Heimat, beide haben Großartiges geleistet, wir sind ihnen allen zu großem
Dank verpflichtet. Aber das Heer draußen muß wissen, daß ein Heer in
der Heimat hinter ihm steht. Erfüllen wir unsere Pflicht, dann wird Gott
uns helfen. (Lebh. Beif. i. Ztr.)
Abg. Scheidemann (Soz.): Die Gefühle, mit denen die Sozial-
demokraten den Reichstag diesmal betreten haben, sind andere als die
waren, mit denen wir am 12. Dez. v. J. diesen Sitzungssaal verlassen
haben. Trotzdem, wenn auch heute zerbrochen am Boden liegt, was damals
zu leben schien, so stehe ich nicht an, zu erklären, daß die Stunden, die
wir Sozialdemokraten damals durchlebt haben, zu den schönsten, frohesten
und stolzesten meines Lebens zählen. Wir haben am 12. Dez. gegen die
Eröffnung der Debatte über die Rede des Reichskanzlers gestimmt. Ich
will Ihnen heute ganz offen sagen, warum. Sie wissen, daß es nicht
unsere Gewohnheit ist, eine Debatte vorzeitig zum Abschluß zu bringen,
und daß es am wenigsten unsere Art ist, Regierungserklärungen unbeant-
wortet hinzunehmen. Aber wir glaubten damals, in einer ganz besonderen