206 Beutsches Reich. (Februar 27.—März 2.)
die Probe zu stellen. Alles kommt darauf an, die innere Einheit und Ge-
schlossenheit des Volkes aufrechtzuerhalten. Wer den Burgfrieden stört,
schwächt den Willen zum Siege. In diesem Sinne klagen wir die preußische
Staatsregierung der schweren Gefährdung des Burgfriedens an, auch der
Reichskanzler ist mitschuldig, weil er als preußischer Ministerpräsident die
Wiedereinbringung der Fideikommißvorlage nicht verhindert hat. Sie
ist auch eine Herausforderung des Reichstags, der noch 1913 eine Vorlage
verlangte, durch die die weitere Bildung von Fideikommissen verhindert
werde. In allen Teilen des Reiches, auch im Süden, hat der Entwurf helle
Empörung hervorgerufen. Durch dieses Vorgehen der preuß. Regierung ist
das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Verheißung über Neuorientie-
rung erschüttert worden. Die heutigen Ausführungen des Kanzlers über
die Neuorientierung waren uns sehr sympathisch; möchten nur aus den
schönen Worten auch die nötigen Schlüsse gezogen werden! Bindende Zu-
sicherungen über seine und der Regierung Mitwirkung an diesen Reformen
waren darin nicht enthalten, und Minister sind vorübergehende Erschei-
nungen. Die Reform wird kommen, weil sie kommen muß, sie wird das
unausbleibliche Produkt der kommenden Entwicklung sein. Aus dem Kriege
wird ein Volk mit gesteigertem Staatsbewußtsein und zugleich mit ge-
steigertem Staatswillen hervorgehen. Soll der Feldgraue in der Heimat ein
geringeres Recht an dem Leben des Staates haben als draußen im Schützen-
graben? Mit unbeirrter Zuversicht gehen wir der neuen Zeit entgegen; wir
werden leisten, was die eiserne Pflicht verlangt, bis der Sieg errungen, der
Friede erzwungen ist. (Beif. I.)
Abg. Graf v. Westarp (Kons.): Ich beginne im Anschluß an die
allgemeinen Bemerkungen zum Etat auch meinerseits mit dem Dank an
unsere Truppen und an das Volk in der Heimat. Wir danken dem stillen
Heldentum, mit dem das Volk alle die gesteigerten Entbehrungen und Be-
schwernisse unseres gesamten wirtschaftlichen Lebens erträgt, wir danken
auch den deutschen Frauen und Mädchen, kein Dank kann wärmer und
tiefer empfunden sein. Der Etat tritt in seiner verfassungsrecht'ichen Be-
dentung immer mehr in den Vordergrund, dagegen entfernt sich seine finanz-
wirtschaftliche Seite immer mehr von der Wirklichkeit, je länger der Krieg
dauert. Er bringt uns keine Ueberraschung, kaum irgende'ne wesentliche
Aenderung. Was die 20%% Zuschlag zur Kriegssteuer betrifft, so ist es doch
ganz außergewöhnlich, daß diese erst im vorigen Jahre von uns mit vielen
Kompromissen beschlossene Steuer jetzt bereits so tief einschneidend geändert
wird, noch ehe sie veranlagt und erhoben ist. Es erscheint als ein neues
Zugeständnis an die Praxis, daß jeder Schritt auf dem Gebiete der in-
direkten Steuern von einem Schritt auf dem Gebiere der direkten begleitet
wird. Gegen diese Praxis, die rein automatisch die direkten Reichssteuern
erhöht, müssen wir auch diesmal Einspruch erheben. Man macht für den
Vorschlag die Popularität der Besteuerung der Kriegsgewinne geltend; man
vergißt dabei aber, daß sie nicht sowohl die Kriegsgewinne als jeden Ver-
mögenszuwachs, jede Ersparnis, jeden auch nur scheinbaren Gewinn trifft.
In den Vermögen im Lande sind große Verschiebungen eingetreten. Aber
man muß dabei auch Billigkeit und Gerechtigkeit walten lassen und volks-
wirtschaftliche Erwägungen im Auge behaltlen. Nach dem Kriege brauchen
wir eine vortreffliche und wohlhabende Privatwirtschaft. Wir brauchen Unter-
nehmungsgeist und Unternehmungslust. Wir können nur dem Schatzsekretär
zustimmen, als er ausführte, wir müssen bei Friedensschluß darauf sehen,
einen Teil der Lasten unseren Feinden aufzubürden. Ich hoffe, daß der
Staatssekretär auch seinen ganzen Einfluß einsetzt, um beim Friedensschluß
auf die Erfüllung dieser Forderung hinzuwirken. Wie Abg. Scheidemann